Redaktion: Hans-Georg Vorndran

BlickPunkt.e Nr. 6 / Dezember 2015

 

Der Satan im Judentum
von Daniel Neumann

Er ist zweifelsohne eine der bekanntesten Gestalten aller Zeiten. Er hat unter verschiedenen Pseudonymen Eingang in die am weitesten verbreiteten Religionen gefunden und sich seinen Platz in der Weltliteratur gesichert. Er hat Künstler inspiriert und ist Protagonist zahlreicher Kinofilme, die uns das Fürchten lehren sollen. Ihm wird bisweilen das Schlechte in der Welt zugeschrieben und er gilt gemeinhin als sprichwörtliche Personifizierung des Bösen.

Die Rede ist von Satan. Auch bekannt als Teufel, Lucifer oder Diabolo.
Der Höllenfürst, dem John Milton sein weltbekanntes klassisches Gedicht „Paradise Lost“ widmete, in dem er in Anlehnung an christliche Quellen dessen Entstehung und sein schändliches Wirken beschrieb.

Jene Erzählungen und Schriften sind es schließlich, die unser hiesiges Bild des Teufels maßgeblich prägen.
Doch was besagen diese Quellen? Wer ist das Wesen, das wir als Teufel, Satan oder Lucifer kennen? Und welche Rolle spielt der Satan im Judentum?

Kurz gesagt handelt es sich beim Teufel im traditionell christlichen Narrativ um einen gefallenen Engel, der gegen G“tt rebelliert habe und deshalb aus dem Himmelsreich verbannt worden sei. Er, der einst als höchster Engel im Hofstaat des Ewigen agierte, habe seinen Herrn herausgefordert, sich widersetzt und schließlich einen Aufstand angezettelt, der zu seiner Verbannung und seinem sprichwörtlichen Fall geführt habe. Seither wirke Lucifer als Widersacher G“ttes in dieser, unserer Welt. Als machtvoller Gegner des Ewigen und seiner Schöpfung. Als Inbegriff und Personifizierung des absoluten Bösen.

Der dadurch eröffnete Gegensatz eines zu Liebe und Gutem strebenden G“ttes und seines Hass und Böses verbreitenden Kontrahenten wirkt gerade für viele Anhänger der christlichen Glaubenslehre einleuchtend, zumal im gleichen Zug eine scheinbare Erklärung für eine der schwierigsten Fragen gegeben wurde, mit der sich nicht nur die Anhänger des Monotheismus konfrontiert sahen. Nämlich der Frage nach dem Bösen in der Welt.

Oder genauer gesagt: Wenn es nur einen G“tt gibt und dieser gut, gerecht und allmächtig ist, woher kommt dann all das Leid in dieser Welt?
Natürlich von der konkurrierenden Macht! Dem Bösem alias dem Teufel.

Dabei nahm das religiöse Konzept des Bösen unübersehbare Anleihen am persischen Zoroastrismus, der ein dualistisches Weltbild vermittelt.
Was kompliziert klingt, ist eigentlich ganz einfach, denn im Grunde geht es darum, dass nach dem dualistischen Verständnis zwei gegensätzliche Kräfte in der Welt wirken. Das Gute und das Böse. Das Licht und die Dunkelheit. Oder in der traditionell christlichen Lesart: G“tt und der Teufel.

Doch was sagen das Judentum und seine Schriften zu diesen Ansichten und Erklärungen? Gibt es den Satan, also das personifizierte Böse als eigenständige machtvolle Instanz, die Dunkelheit und Verderben über die Menschheit bringt? Gibt es den gefallenen Engel, der sich bis zum jüngsten Tag ein Gefecht mit dem Ewigen und seinen Geschöpfen liefert auch in der jüdischen Tradition?

Um es kurz zu machen: Nein!
Jedenfalls nicht gemessen an den bisherigen Ausführungen und Beschreibungen.
Juden sind ja bekanntermaßen die Schöpfer des Monotheismus, also des unbedingten Glaubens an den einen und einzigen G“tt. Dieser ist freilich nicht nur einzig, sondern auch unteilbar, unendlich und allmächtig. Während das erste der 10 Gebote die Anerkennung G“ttes fordert, bezieht sich das 2. Gebot auf die Einzigartigkeit des Ewigen, indem es verlangt, dass man keine anderen G“tter vor ihm haben dürfe. Der amerikanische Rabbiner Benjamin Blech schrieb dazu, dass diese beiden Gebote nur in ihrer Kombination überhaupt Sinn ergeben, da das erste Gebot ohne das zweite bedeutungslos sei. Ein  G“tt, der nicht alleine stünde, sei ja eben gerade nicht allmächtig und wäre es deshalb auch nicht wert, überhaupt als G“ttheit bezeichnet zu werden.

Alleine die Vorstellung von konkurrierenden Mächten, wie sie der Dualismus kennt, oder eines machtvollen boshaften Gegenspielers des Ewigen, wie das traditionelle Christentum den Teufel zeichnet, ist deshalb kategorisch ausgeschlossen.
Im 5. Buch Moses (Kapitel 4, 39) heißt es demzufolge: „So sollst Du heute erkennen und zu Herzen nehmen, dass der Ewige der G“tt ist in dem Himmel droben und auf der Erde hier unten, Keiner sonst.“
Und im Buch Jesaja (Kapitel 45,7) findet sich eine kraftvolle Bestätigung, indem es heißt: „Der das Licht bildet und Finsternis schafft, Frieden stiftet und Unheil schafft, ich, der Ewige, tue dies alles.“

Obwohl diese Passage auf den ersten Blick verstörend wirkt, weil G“tt dort als Schöpfer des Unheils genannt wird, erteilt sie allen anderen Vorstellungen konkurrierender Mächte
oder widerstreitender Kräfte gleichzeitig eine deutliche Absage.

Heißt dass nun, dass es Satan im Judentum überhaupt nicht gibt? Und taucht er nicht sogar namentlich etwa zu Beginn der prominenten Hiob-Geschichte auf?
In der Tat hat Satan einen Platz in den Schriften und der Tradition. Allerdings hat dies mit den eingangs beschriebenen christlichen oder dualistischen Vorstellungen nur wenig gemein.
Denn auch wenn Satan im Hebräischen soviel wie Gegner oder Widersacher bedeutet, ist dieser nicht als Kontrahent G“ttes sondern vielmehr als Widersacher des Menschen zu verstehen.
In dieser Eigenschaft wird er bisweilen durchaus auch als Engel verstanden, wobei das biblische Konzept des Engels dessen Rebellion gegen G“tt per se ausschließt. Engel sind nach jüdischem Verständnis nämlich - wie der hebräische Name „Malach“ nahelegt - Botschafter des Ewigen, die im Gegensatz zum Menschen nicht über einen freien Willen verfügen und deshalb sozusagen nur Auftragsangelegenheiten erledigen. Es sind keine freien, unabhängigen Mächte, sondern spirituelle Wesen und als solche stets und stetig von ihrer Quelle abhängig.

Aufklärung verschafft dagegen ein Blick in den Talmud, der Satan mit dem bösen Trieb gleichsetzt. Der sogenannte Jezer Hara, also der böse Trieb, ist ebenso wie die Neigung zum Guten unerlässlicher Teil eines jedes Menschen, einer jeden Persönlichkeit. Er ist bildlich gesprochen der kleine Teufel, der auf einer unserer Schultern sitzt und versucht, uns durch Einflüsterungen vom rechten Weg abzubringen. Er ist Teil unseres Wesens und offenbart sich in dem Ringen, den Abwägungen und dem Hadern mit sich selbst in dem Versuch, das Richtige zu tun. Bildlich gesprochen ist er die Versuchung, die uns eher zu einem Cheeseburger greifen lässt, statt zu einem koscheren Sandwich.
Bedeutet dass dann aber nicht doch, dass es auch nach jüdischem Verständnis unterschiedliche Mächte gibt, die miteinander in Widerstreit stehen?
Nicht im Geringsten. Vielmehr ist der sogenannte böse Trieb stattdessen unabdingbarer Teil der Schöpfung und des Konzepts des freien Willens.

Deutlich wird dies laut Rabbiner Blech etwa in einem Midrasch, also einer Interpretation der Weisen, am Ende der Schöpfungsgeschichte. Dort heißt es, dass G“tt sah, dass alles, was er gemacht hatte, sehr gut sei. Der Midrasch erklärt, dass die Bezeichnung „alles, was er gemacht hatte“ auch die böse Neigung des Menschen umfasse. Gerade dieser böse Trieb sei von G“tt geschaffen und ebenfalls als sehr gut erachtet worden. Denn ohne diese Neigung würden Menschen nicht versucht werden, etwas Falsches zu tun und könnten deshalb auch keine Anerkennung für das richtige Verhalten erlangen. Ohne die Empfänglichkeit für das Böse würde kein Ringen um Rechtschaffenheit existieren und alle unsere Anstrengungen wären lediglich automatisierte Antworten, intuitive Reflexe, vorherbestimmte Handlungsabläufe ohne bewusste Entscheidungsgrundlage oder noblen Charakter.

Gerade der freie Wille und die Möglichkeit, sich bewusst für das Gute und Richtige und gegen das Böse und Falsche zu entscheiden, macht den Menschen einzigartig und unterscheidet ihn von allen anderen Geschöpfen. Das setzt allerdings die Möglichkeit von Alternativen zwingend voraus. Im 5. Buch Moses (Kapitel 30, 15) heißt es deshalb: „Siehe, ich lege dir heute vor das Leben und das Gute, auch den Tod und das Böse“.
Das Böse ist notwendiger Teil der Schöpfung, Teil des Lebens und eine Wahlmöglichkeit, gegen die es sich zu entscheiden gilt, auch wenn sie noch so anziehend und gewinnbringend erscheint. Es ist die Verführung, der es zu widerstehen und die Herausforderung, die es zu meistern gilt.
So ist der Kampf mit dem Satan letztlich eine Schlacht, die der Mensch zu beinahe jedem Zeitpunkt seines Lebens mit sich selbst austragen muss.
Und doch ist er gleichzeitig eben jenes Mittel, das es dem Menschen erlaubt, sich weiter zu entwickeln und über sich selbst hinaus zu wachsen. Wahre Macht nämlich erlangt der jüdische Teufel nur da, wo man ihn lässt und auch dort nur sehr begrenzt.

Fallende Engel oder machtvolle Gegenspieler G“ttes sind dem wahren Monotheismus jüdischer Prägung somit fremd. Tief fallen kann einzig der Mensch, der seinen niederen Instinkten nachgibt. Doch gerade dieser hat eben auch stets und ständig das Potential, ungeahnte Höhen zu erreichen. Selbst wenn es schwer fällt.

Der Autor ist Geschäftsführer des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen K.d.ö.R.

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