Redaktion: Hans-Georg Vorndran

BlickPunkt.e Nr. 1 / Februar 2016

 

Klaus-Peter Lehmann
Wir schaffen es
Die Gottesebenbildlichkeit des Menschen als ethischer Anspruch

Die Bibel zeichnet ADAM (= der Mensch = die Menschheit) mit Ebenbildlichkeit in der Korrelation zu Gott aus. Nicht wegen seines riesigen Großhirns, nicht wegen des aufrechten Ganges, der Freiwerdung der Hände und auch nicht wegen seiner Sprachfähigkeit ist der Mensch Mensch. Nicht wo die Menschen Denker, Arbeiter und Redner hervorgebracht haben, sind sie vor Gott ausgezeichnet. Nicht wo der Mensch als Nebenmensch nur hingenommen, toleriert wird, sondern wo er als Geschöpf Gottes, als Geschenk und als zu Liebender geehrt, als Mitmensch willkommen geheißen wird. Gottesebenbildlichkeit bedeutet Nächstenliebe.

Der jüdische Religionsphilosoph Hermann Cohen hat das Gebot der Nächstenliebe aus dem der Fremdenliebe entwickelt und das Recht des Fremden aus dem Glauben an den einzigen Gott: Aus dem einzigen Gotte, dem Schöpfer des Menschen, ist auch der Fremdling, als Mitmensch, hervorgegangen. Vor dem Einzigen haben alle Menschen das gleiche Recht. Das Recht des Fremden ist unteilbar. Für Asylsuchende kann es keine Obergrenze geben. Wer das bestreitet, verlässt die Gottesbeziehung.

Martin Buber hat zu einem Band mit den Texten Cohens zur Nächstenliebe eine Vorbemerkung geschrieben. In ihr lesen wir: „Sei liebend zu deinem Nächsten als einem, der wie du ist“, heißt es in der Schrift (3Mose 19,18) und kurz danach wie um durch die besondere Hervorhebung in alle Zeit jeden etwa möglichen Missverstand auszuschalten: „Sei liebend zum Fremden als zu einem, der wie du ist“ (3Mose 19,34). Rea, Nächster, ist der Mensch, mit dem ich gerade zu tun habe, der mir eben jetzt begegnende Mensch, der Mensch also, der mich in diesem Augenblick „angeht“, gleichviel, ob er mir volkeigen oder volksfremd ist. Ich soll, buchstäblich übersetzt, „ihm lieben“: mich ihm liebend zuwenden, ihm Liebe erzeigen, Liebe antun; und zwar als einem, der „wie ich“ ist: liebenswürdig wie ich, - wie ich es eben von meiner eigenen Seele her weiß. Dass es so zu verstehen ist, ergibt sich aus den auf den zweiten Satz folgenden Worten: „Denn Fremde seid ihr im Land Ägypten gewesen“ - oder wie es anderswo noch deutlicher heißt: „Ihr kennt ja die Seele des Fremden, denn Fremde seid ihr im Land Ägypten gewesen“. Ihr kennt diese Seele und ihre Not, ihr wisst, wessen sie bedarf, und darum, ihr, denen es einst verweigert worden ist, verweigert es nun nicht! Wagen wir es, von da aus die Begründung des ersten Satzes in Worte zu fassen. Sei liebend zu deinem Mitmenschen als zu einem, der wie du ist – ihr kennt ja die Seele des Menschen, dem es nottut, dass man liebend ihm sei, denn Menschen seid ihr und leidet selber die Menschennot. So ist eine Botschaft des „alten Testamentes“ zu lesen.

Hermann Cohen schrieb gegen die christliche Ideologie, dass Judentum sei, weil sein Liebesgebot angeblich nur den Volksgenossen gelte, durch das universale Liebesgebot des neuen Testamentes überwunden. Hierin stimmten Theologen und Antisemiten damals überein. Vom Vulgärantisemitismus wurde, wie auch heute noch, das Judentum beschuldigt, dass seine sittlichen Grundsätze nur auf Juden Anwendung fänden und dass es Nichtjuden gegenüber ein unsittliches Verhalten empfehle. Martin Bubers Vorbemerkung hatte sich 1935 an die Bedrängten und Entrechteten gerichtet. Auch in der so anderen heutigen Situation gilt jenes Gebot des „alten Testamentes“ und seine Begründung. Sie gelten auch für uns, die, wenn nicht aus der „Knechtschaft in Ägypten“, so doch aus der „Knechtschaft der Unmündigkeit“ Befreiten. Das Gebot der Schrift erfüllen, war nie leicht, und ihm zu folgen, fällt hier und heute allen schwerer. Wir werden den uralten, ewig gültigen Aufruf zur Nächstenliebe nur dann entsprechen, wenn wir die Überschwemmungshalluzinationen und den Aufputsch zu aggressiven, fremdenfeindlichen Gefühlen, zu einer menschenfeindlichen Emotionalität entschieden entgegentreten. Mahne, ermahne deinen Nächsten, dass du nicht Sünde seinethalb tragest (3Mose 19,17). Wir sind nicht nur für den in Not geratenen Flüchtling verantwortlich, sondern auch für den verhetzten Fremdenfeind. Nächster, mit dem ich gerade jetzt zu tun habe, sind beide.

Wenn die Menschen dieses Landes Bildung und Erziehung von Kindergarten und Grundschule an wirklich ernst nehmen, einander fördern, der zu fördernden Werte bewusst die Bildung (sprachliche, berufliche, gesellschaftliche Bildung) für den Mitmenschen von Hier und von Dort, die Benachteiligten in unserem Land und die aus Not zu uns Kommenden, zugleich aufbauen, einrichten und durchführen, dann schaffen wir es.

Unser Land ist so reich an Möglichkeiten, vor allem an Menschen, die helfen, aufbauen und Bildung vermitteln wollen. Es zu schaffen ist leichter als wir denken. Es muss nur gewollt und politisch organisiert werden.

(Angeregt durch „Kalonymos, Beiträge zur deutsch-jüdischen Geschichte aus dem Salomon Ludwig Steinheim-Institut an der Universität Duisburg-Essen, 3. Heft 2015, S. 16)

zu Titelseite

zum Seitenanfang

 
Die BlickPunkt.e erscheinen 6mal im Jahr. Die Printausgabe kann für 25 Euro/Jahr bestellt werden bei ImDialog. Evangelischer Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau.  


Jüdische Stimmen
zu Religion und Gesellschaft

Jüdische Schriftauslegung

25 Jahre EKHN-Grundartikel-Erweiterung 2016

Kirche und Judentum:
Evangelische Worte zum Thema "Christen und Juden" seit 1980 bis heute

KLAK-Perikopenmodell

Jüdische Feste
und Riten

Zu unserem Download-Shop