Redaktion: Hans-Georg Vorndran
BlickPunkt.e Nr. 2 / April 2016
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Klaus-Peter Lehmann Das politische Gerede vom Gastrecht Gastrecht ist kein Rechtsbegriff. Kein Paragraph der deutschen Rechtsordnung kennt ihn. Es handelt sich vielmehr um ein herbeischwadroniertes großzügiges Scheinrecht, das, wenn's passt, entzogen werden kann, also um eine demagogisch geöffnete Tür für Rechtswillkür. Die Rede vom verwirkten Gastrecht der Flüchtlinge bedeutet ihre grundsätzliche Entrechtung. In einem sachlich geführten politischen Streit über den Umgang mit straffälligen Flüchtlingen und Asylbewerbern kann es nur um wirkliche Rechte gehen. Die stehen in der Genfer Flüchtlingskonvention, im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und im deutschen Strafgesetzbuch. Ich kann mir keinen Politiker vorstellen, der das nicht weiß. Warum reden immer mehr wider besseres Wissen von einem Gastrecht oder Obergrenzen für Asylbewerber? Man sieht am rechten Rand der Gesellschaft eine breite, von Neonazis befeuerte, wachsende Stimmung gegen Flüchtlinge und fremde Einwanderer. (1) Diesen „besorgten Bürgern“ möchte man entgegenkommen, um keine Wählerstimmen an die AfD zu verlieren. Statt die aggressive Fremdenfeindlichkeit von Pegida und AfD sowie den Hass gegen Flüchtlinge beim Namen zu nennen und nicht zu bürgerlichen Sorgen kleinzureden, greifen die Politiker zum Populismus. (2) Glauben die politischen Entscheidungsträger wirklich, dass diejenigen, die der hohlen Parole um das Wahngebilde einer drohenden Islamisierung des Abendlandes hinterher laufen, (3) eigentlich nur darüber besorgt sind, mit ihren „Sorgen“ in der Demokratie kein Gehör zu finden? Sehen sie denn nicht, dass ein erheblicher Teil der zunehmenden Nichtwähler mit unser parlamentarisch abgesicherten Oligarchie und Plutokratie schon lange auf gefährliche Weise dumpf brütend abgeschlossen hat? Von dieser schweigenden Mehrheit erheben nicht wenige nun ihr Haupt. Jetzt müssten die Politiker in die Offensive gehen und davon reden, worum es hier nur gehen kann. Vom Grundgesetz, das sich zur Menschenwürde bekennt, vom uneinschränkbaren Menschenrecht auf Asyl, davon, dass straffällig gewordene Asylbewerber, nach dem deutschen Strafgesetzbuch verurteilt werden. In einem Rechtsstaat gibt es kein Sonderrecht. Allerdings herrscht in unserem Land, was die vielen Einwanderer angeht, die keine Asylgründe haben, Chaos. Nun macht sich sehr nachteilig bemerkbar, dass Deutschland immer noch kein Einwanderungsgesetz hat. Die politische Anerkennung, dass wir ein Einwanderungsland sind, ist mehr als überfällig. Wichtig ist auch, den Rechtsextremen und ihren Spurläufern von AfD und Pegida wäre damit viel Wind aus den Segeln genommen. Auch die populistische Versuchung für Politiker wäre um einiges geringer. Denn der Umgang mit den Zuwanderern ohne Asylgrund wäre rechtlich geregelt. Und es würden nicht solche Absurditäten entstehen, dass sich für einen Flüchtling während seiner Flucht die Heimat ganz wundersam in ein sicheres Herkunftsland verwandelt hat. Die politische Willkür, die hier herrscht, wird durch kaum etwas anderes deutlicher, als durch die tagespolitische Verhandelbarkeit solcher für Menschen lebensentscheidender Qualifikationen. Durch die plötzliche Neueinstufung der Balkanländer werden viele Sinti und Roma in schwere Diskriminierung zurückgeschickt. Der Satz vom verwirkten Gastrecht der Flüchtlinge bedeutet eine Wendung, die die Rechtssicherheit und die Rechtsstaatlichkeit gravierend antastet. Kann jemand seine Grundrechte, z.B. das auf Asyl verwirken? Ein Recht, das verwirkt werden kann, ist kein Recht, sondern eine willkürlich gewährte und wieder aufkündbare Gabe. Der Flüchtling ist dann nicht mehr ein Subjekt von Rechten, sondern ein Wesen, das gefälligst dankbar zu sein hat. Sonst raus mit ihm! Dieses Beziehungsfeld von großzügigem Geber und undankbarem Empfänger, das das Gerede vom Gastrecht ausspannt, ist der Boden, auf dem die verrohten Emotionen der Fremdenfeindlichkeit sich austoben können. Die Gemeinde Jesu Christi als Lebensort der Gastlichkeit und Wegweisung für die Politik Der biblische Abraham wird wegen seiner Gastfreundschaft gerühmt. Noch eben für den Bund beschnitten, will er drei Fremde nicht vorübergehen lassen, sondern besteht darauf, sie durch sein Haus gastlich bewirten zu lassen. Die Erzählung ist insofern denkwürdig, als die Fremden in der ehrerbietenden Begrüßung Abrahams Mein Herr zur Person Gottes mutieren. Das will sagen: Abraham hat in seiner geradezu begeiste(r)ten Gastfreundschaft gegenüber den wild-Fremden Gott zu seinem Gast gemacht. Jesaja und Jakobus nennen ihn auch den Freund Gottes. (4) Das geht auf diese Erzählung zurück. Das Licht der Humanität Abrahams leuchten zu lassen, dazu sind Juden durch den Bund und Christen durch das Wort der Apostel Jesu Christi berufen. Synagoge und Kirche sind der Raum, in dem jenseits aller rechtlichen Bestimmungen und politischen Strukturen freie Gastlichkeit, Großmut und Entgegenkommen, Mitfreude und Mitleid, Erbarmen und Gerechtigkeit das Miteinander prägen und eine humane Gemeinschaft im Geist der Liebe schaffen – der Gastlichkeit Abrahams, der Nächstenliebe, dem höchsten Gebot der Thora. Auch wenn die Kirche mitten im politischen Raum lebt und von Politik durchdrungen ist, lebt doch gleichzeitig (simul) ein anderer Anspruch in ihr. Sie ist sicher nicht zur Politik berufen, sondern zur Verwirklichung der metapolitischen Humanität Abrahams in und durch Jesus Christus. (5) Deshalb hat sie den Auftrag, den politischen Raum zu betreten, um gegen seine herrschaftlichen Strukturen das Kommen des herrschaftsfreien Reiches Gottes zu bezeugen und vertrauend auf die Kraft des prophetischen Wortes durchzusetzen. Die Kirche Jesu Christi muss politisch werden, aber nur, indem sie diesem Auftrag dient, darf sie es. Aus diesem Grund erinnert die Kirche Jesu Christi als lebendiges Vorbild und mit mahnenden Worten den Staat an seine Verantwortung, an seine Aufgabe, für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten. Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt. (6) Die Kirche hat eine Aufgabe gegenüber den Regierenden, deren Verantwortung es ist durch die Schaffung struktureller Gerechtigkeit die Voraussetzungen für sozialen Frieden zu schaffen. (7) Im Wissen um das, was die Menschenwürde gebietet, was das Recht vorschreibt und was sozial adäquat ist, sollte die Politik notwendige Programme einleiten, um die angespannte gesellschaftliche Situation zu befrieden, z.B. ein umfassendes Paket des sozialen Wohnungsbaus für Deutsche, die sozial prekär leben, und für Flüchtlinge. Wird der Staat nicht von sich aus dahingehend aktiv, sollte die Kirche ihn in geeigneter Weise, auch öffentlich, darauf hinweisen, was seine Aufgabe ist. In der zurzeit verheerend laufenden Flüchtlingsdebatte sollte die Kirche sich unbedingt deutlich vernehmbar zu Wort melden, um durch ein aktuelles Wort, das klarstellt, was Recht und Frieden bedeutet, weiteren Schaden für die Seelen des deutschen Volkes und die Leben der Flüchtlinge zu verhindern.
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