Redaktion: Hans-Georg Vorndran

BlickPunkt.e Nr. 2 / April 2016

 

Andreas Goetze
Zugänge zu Bild und Bildverbot in Judentum und Islam

Wir leben in einer bilderbestimmten Welt, emotional, sinnlich, nicht nur äußerlich, wir erzeugen auch ständig innere Bilder. Doch Bilder sind mehrdeutig, mehrschichtig, manipulierbar, missbrauchbar. Schnell mache ich mir vom anderen ein Bild: „Typisch, das musste der ja so sagen …!“ Und schneller als ich denke, habe ich den anderen in eine Schublade gesteckt. Das Bild, das ich mir vom anderen gemacht habe, verfehlt ihn. Denn er kann auch anders, das lasse ich außer acht. Das Bild stiehlt ihm die Zukunft, indem ich ihn festlege: „So bist du eben!“. Damit steht allerhand auf dem Spiel: Die Wirklichkeit des Nichtbekannten, die Freiheit, eben das, was nicht zu berechnen, zu fixieren ist, das Geheimnis der Person, das, was mir bleibend entzogen ist.

„Unsere Meinung, dass wir das andere kennen, ist das Ende der Liebe“, schreibt Max Frisch in „Stiller“. „Weil unsere Liebe zu Ende geht, weil ihre Kraft sich erschöpft hat, darum ist der Mensch fertig für uns. (…) Wir künden ihm die Bereitschaft, auf weitere Verwandlungen einzugehen. Wir verweigern ihm den Anspruch alles Lebendigen, das unfassbar bleibt, und zugleich sind wir verwundert und enttäuscht, dass unser Verhältnis nicht mehr lebendig sei.“

Einerseits: „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“. Bilder können auf das Wesentliche hinlenken. Die Ikonenmalerei gibt darüber beredt Zeugnis. Andererseits: „Du sollst dir (von mir) kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde“ (2. Mose 20,4). Denn Bilder sind wirkmächtig, davon war man im Alten Orient überzeugt. Man schrieb den Amuletten, Kultbildern, Statuen eine magische Wirkung zu. Auf wunderbare Weise könnten sie vor dem Bösen bewahren oder durch die Herstellung solcher Figuren könne man sich die Gottheit, die in dem Bildnis repräsentiert ist, gnädig stimmen. Das hebräische Wort „päsäl“, das im 2. Gebot verwendet wird, meint solche Art Skulpturen und Kultbilder (P. Welten). Wesentlich geht es um Macht, genau genommen um die Bestreitung der Macht anderer Götter außer dem Gott Israels.

Judentum: „Gott ist, weil erwirkt“
Die prophetischen Religionen wie Judentum, Christentum, Islam und die Religion Zarathustras zeichnen sich dadurch aus, dass sie dem Wort vor dem Bild Vorrang geben und der Bilderverehrung wehren. Das 2. Gebot im Dekalog gehört zu den Geboten der so genannten linken Tafel, denen es um die Wahrung der Gottheit Gottes geht. Doch dem Gebot geht es auch um den Menschen, der davor bewahrt werden soll, der Versuchung zu erliegen, sich an einen selbst gemachten Gott zu verlieren (M. Weinrich). Gottes Wesen ist nach rabbinischer Tradition nicht zu erfassen. Umso mehr wird Gottes Wirken betont, durch das der Mensch Gott erkennen kann. In diesem Sinn sind alle Namen Gottes nicht willkürlich: „Ich werde nach meinem Wirken benannt“, führt ein Midrasch zu Ex. 34,6 aus. Und Gott ist, weil er nicht fern vom Menschen existiert (Midrasch Gn Rabba zu Gen. 24,3): „Falls ihr mich sucht, ich bin bei meinen Kindern“ (so spricht Gott zu den Engeln im Midrasch Sifré). Der Name wird so zur Umschreibung für Gott selbst, der dabei aber immer noch der „ganz Andere“ bleibt, ein Geheimnis, dem ich mich nicht bemächtigen kann. So sprechen fromme Juden den Namen Gottes nicht aus, sondern sagen: „Ha-Shem“ (Hebräisch: „der Name“) oder „Adonai“ („der Herr“).

So schützt das Bilderverbot davor, eine bestimmte Vorstellung, ein bestimmtes Bild absolut zu setzen. Die Wahrheit des Bilderverbots ist die Wahrheit, dass wir die Wahrheit nicht „haben“, dass sie uns nicht verfügbar ist. Nur das, über das ich verfüge, was ich beherrsche, kann ich mir gewogen machen. Gott dagegen fordert Vertrauen und Gehorsam. Du sollst Dir kein Bildnis machen – man könnte ergänzen: sondern auf die Bilder achten, in denen Gott in eine Beziehung zu Dir getreten ist. Denn nicht wir begegnen Gott, sondern Er begegnet uns (nach 2. Mose 33,18-34,7). Das ist die Grundüberzeugung der ganzen biblischen Tradition (E. Zenger).

Das Volk Israel soll sich an JHWH, an „Ha-Shem“ halten, weil er allein der Lebendige ist, wirkmächtig in seiner Schöpfung und den Menschen zugewandt. Die „Schechina“, die Gegenwart Gottes in der Welt, so lehren die Rabbinen, ging mit Israel nach Ägypten und in jedes andere Exil und kehrte mit Israel zurück in das Land der Verheißung. Daher sollen die Gläubigen keine „päsäl“ anfertigen noch sich vor ihnen niederwerfen, denn das verdirbt diese mitgehende, dynamische Gottesbeziehung.

Doch so einheitlich, wie es von dem Gebot zu erwarten wäre, ist die hebräische Bibel nicht. Diese grundsätzliche Form der Kritik wurde vermutlich erst im 7./ 6. Jht. v. Chr. formuliert. Frühere Texte weisen auf Kultbilder wie einen Stier im Nordreich Israels oder eine eherne Schlange als rettende Macht (4. Mose 21) hin (O. Keel). Insbesondere die Schriftpropheten wetterten gegen Menschen, die „Kälber küssen“ (Hos. 13,2). Das Abbildungsverbot richtete sich nicht gegen die künstlerische Darstellung im heutigen Sinne, weil es diese noch nicht gab (M. Weinrich). Je mehr aber Gott transzendent und damit unvorstellbar gedacht wurde, desto mehr wurde die Herstellung von „päsäl“ verpönt, galten die Kultbilder und Skulpturen mehr und mehr als Personifikationen der nichtigen Götter. „Ihr habt keine Figur gesehen, als der Ewige vom Berge Horeb aus dem Feuer zu euch redete“ (Dtn. 4,15).

Die Heiligkeit der Buchstaben – Heilige Schrift als „Wahrnehmungsereignis“
Der Koran selbst spricht kein Bilderverbot aus und kennt ursprünglich wie das Judentum keine Kunst- oder Bilderfeindlichkeit. Erst die Gelehrten späterer Zeit haben das Verbot der Bilder durchgesetzt – und das auch mehr im arabisch-sunnitischen als im persisch-schiitischen Islam, der solch ein Verbot gar nicht kennt. Das Bilderverbot hat jüdische und islamische Kunst nicht verhindert. Im persischen Raum finden sich zahlreiche Abbildungen Muhammads (sogar mit Gesicht) und z. B. von Jesus. Ebenso gibt es im Judentum illustrierte Gebetsbücher. Diese illustrative Ausschmückung ist von der talmudischen Vorstellung des „hiddur mizwa“ geprägt, von „der „Erfüllung eines biblischen Gebots in Schönheit“. So sind Bilder nicht grundsätzlich verboten, aber dennoch oft ungern gesehen aus Angst, beim Gebet abgelenkt zu werden.

Spirituell ist die Zurückhaltung gegenüber dem Bild durch das besondere Offenbarungsverständnis in Judentum und Islam begründet. Die Thora und der Koran werden je für sich zur entscheidenden Brücke zwischen dem ewigen, fernen Gott und dem endlichen Menschen in der materiellen Welt verstanden. Die Schrift, das Wort Gottes, auf möglichst schöne Art und Weise wiederzugeben, ist daher die „Königin der Künste“, viel wichtiger als es jedes Bild sein könnte (N. Kermani). Die Kunst des schönen Schreibens hat deshalb in den jüdischen und islamischen Welten eine ganz besondere Blüte erfahren. Die Kalligraphie selbst ist eine spirituelle Übung, in der sich Gottes Wort erschließt, Gottes Welt erkennbar wird. Weil die Erkenntnis Gottes durch das Wort erfolgt, verliert die sinnliche Wahrnehmung durch das Bild ihre Bedeutung.

Vielmehr kommt es auf das Hören an (vgl. auch Röm. 10,19!). Die nach islamischer Tradition älteste Überlieferung (Sure 96:1) beginnt entsprechend mit dem Wort: „Rezitiere (laut)!“ Schon das syrisch-aramäisches Lehnwort „„qur’ân“ weist darauf hin, denn es bedeutet „das zu Rezitierende“. Wenn Gott sich im zu hörenden Wort offenbart, geht es um ein Wahrnehmungsereignis, das die Hörenden ergreift und zum Lob Gottes, zur Hingabe an Gott bzw. zum Gebet inspiriert. Vergleichbar mit einer Musikpartitur, die nicht von sich aus klingt, ist die Heilige Schrift (Thora, Bibel aus Altem und Neuem Testament, Koran) das Wort Gottes in dem Moment, indem sie durch den Geist erklingt, ein Klangraum entsteht.

Um Gottes Offenbarung im Wort getreu und exakt wiederzugeben, kommt in Judentum wie Islam dem Akt des Schreibens selbst eine besondere spirituelle Bedeutung zu. Der Thora- bzw. der Koranschreiber muss viele Jahre bei einem Meister gehen in die Lehre gehen, um am Ende die hohe Kunst in Perfektion zu beherrschen: Denn das Zeilenmaß muss stimmen, die Buchstaben müssen exakt gesetzt sein. Er muss mit koscheren bzw. hallal-zertifizierten Materialien arbeiten. Und bevor er mit dem Schreiben beginnt, spricht er ein Gebet, um sich Gott zu öffnen, sich auf die heilige Handlung vorzubereiten.

Islam: „Gott allein ist der Schöpfer“
„Das Bilderverbot gehört nicht zu den kategorischsten Verboten in der islamischen Kultur. Es ist flexibel in der Praxis. Von Anfang an wurde ein Unterschied zwischen dem sakralen und dem profanen Bereich gemacht. Die große Moschee in Damaskus war zwar stark beeinflusst von byzantinischer Kunst. Aber sie vermeiden es hier, figürliche Darstellungen hineinzunehmen. Während zur gleichen Zeit Paläste, Lustschlösser der Kalifen voller Bilder waren, die Menschen in freizügiger Form zeigen und auch Bilder, die eine politische Botschaft haben“, erläutert Doris Behrens-Abouseif, Professorin für Islamische Kunst und Archäologie in London.

Gleichwohl der Koran kein Bilderverbot kennt, mahnt er zu einer gewissen Zurückhaltung. „Taswir“ bedeutet im Arabischen und Persischen „Bild“, aber auch „Täuschung, Illusion, Trugbild“. Darin spiegelt sich das kritische Verhältnis der islamischen Kulturen zu gegenständlichen Darstellungen von Lebewesen – bis hin zum Bilderverbot. Islamisches Bildverständnis zielt daher auf das Abstrakte. Wenn ein Innenraum einer Moschee geschmückt ist, dann mit Wandornamenten von abstrakter, mathematischer Gestalt, die nichts Gegenständliches oder Lebendiges darstellen. Man nennt diese ureigene arabische Schöpfung Arabesken. Ihre Muster umspannen spinnennetzartig den Raum und lösen die Wände auf wie eine kostbare Stickerei. Die abstrakte Monotonie dieser Arabeskenwände erinnert an die Wüste, deren Thema die unendliche Wiederholung des Gleichen ist. Die Arabeske ist so abstrakt wie der Islam. Allah ist ein reines Geistwesen, unvorstellbar und unkörperlich. So lässt sich folgern: Die Verehrung eines völlig abstrakten Gottes schließt Abbildungen von selbst aus. Die Arabesken der Moscheen sind der sichtbare Ausdruck dieser Geisteshaltung.

Wie im Judentum geht es zentral darum, dass die Einzigkeit Gottes nicht durch irgendwelche, noch so gut gemeinten Bilder untergraben wird. Doch erst in der islamischen Tradition, in der so genannten Hadith-Literatur, wird Sure 4:48 im Sinne des Bilderverbotes ausgelegt: „Gewiss, Allah vergibt nie, dass ihm gegenüber Shirk (Arabisch für „Beigesellung“) betrieben wird“. „Shirk“ bedeutet Verehrung bzw. Anbetung anderer Götter neben dem einen und einzigen Gott. Insbesondere ein Hadith gilt als Ursprung und Quelle für jedes religiös begründete Bilderverbot: „Und wer ein Bild gestaltet, der wird dafür (am Tage des Jüngsten Gerichts) bestraft und aufgefordert, in dieses Lebensgeist einzuhauchen – und er wird es nicht tun können“ (Sahih Al-Buchary Nr. 7042). Der Mensch soll Gott nicht nachahmen, denn allein Gott ist der Schöpfer! Wer ein Lebewesen malt oder bildhauerisch darstellt, tritt damit in Konkurrenz zu dem, der alles geschaffen hat. Die Bildwerdung selbst gilt als geheimnisvoller schöpferischer Vorgang. „Wollt ihr denn etwa verehren, was ihr selbst zurechtgemeißelt, wo doch Gott euch und was ihr macht geschaffen hat?!“ (Sure 37:95f.). Wer also Bilder schafft, versucht, Gott nachzuahmen und einer noch ungeformten Wirklichkeit Wesen und Gestalt zu geben – und das ist gotteslästerlich. Oder wie es Max Frisch ausdrückte: „Man macht sich ein Bildnis. Das ist das Lieblose, der Verrat“.

Dr. Andreas Goetze, Landespfarrer für den interreligiösen Dialog in der Evang. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), Lehrbeauftragter an der Humboldt-Universität zu Berlin, Studium der Evang. Theologie, Nebenfächer Judaistik, Philosophie, islamwissenschaftliche Studien und Studien zum orientalischen Christentum u. a. in Jerusalem und Beirut

 

Literaturhinweise:
Doris Behrens-Abouseif, Schönheit in der arabischen Kultur, München 1998
Othmar Keel, Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus, Teil 1, Göttingen 2007.
Navid Kermani, Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran, München 2011 (4. Auflage)
Abdel Theodor Khoury, Der Hadith. Urkunde der islamischen Tradition, Band 1, Gütersloh 2008
Michael Weinrich, Die Wahrheit des Bilderverbots. Historische und theologische Aspekte, in: Jörg Schmidt (Hg.), Von Bildern befreit zum Leben. Wahrheit und Weisheit des Bilderverbots, Wuppertal 2002, S. 17-42.
Peter Welten, Artikel Bilder. Altes Testament, in: TRE VI, Berlin/ New York 1980, S. 517-521.
Erich Zenger, Der Gott der Bibel. Sachbuch zu den Anfängen des alttestamentlichen Gottesglaubens, Stuttgart 1986

 

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