KARFREITAGSLITURGIE
und PREDIGT (Die Stücke sind bewußt alle der Hebr. Bibel entnommen) LIEDER: EINGANGSWORTE: Psalm 37,32
f Jes. 57,1
f SÜNDENBEKENNTNIS: GNADENVERKÜNDIGUNG: GEBET: SCHRIFTLESUNGEN
zur Auswahl Als GLAUBENSBEKENNTNIS SCHLUßGEBET:
(Die Gemeinde bekommt in Form einer Postkarte das Chagall'sche Bild "White Crucifixion, Art Institute of Chicago, Anton Schroll & Co, Wien-München - A 156 - in die Hand). Das 10. Gebot warnt uns davor, haben zu wollen, zu begehren, was unser Nächster hat. Es gibt ein tief bestürzendes, folgenschweres Beispiel ih dieses Begehrens dessen, was mein Nächster hat, ein Beispiel aus dem geistlichen Leben, das uns zeigt, wie das zugehen kann und was für böse, mörderische Folgen das haben kann, wenn wir dem andern das wegnehmen wollen, was sein ist. Es geht da um das Herz der Botschaft der Bibel. Dieser Abschnitt vom stellvertretenden Leiden des Knechtes Gottes spielt in der ganzen christlichen Geschichte von den Tagen des neuen Testaments an eine bedeutende Rolle - leider auch die Rolle des kostbaren Gutes, das wir Christen den Juden weggenommen haben, um es ganz für uns mit Beschlag zu belegen. Schon die Evangelisten haben einzelne Züge der von ihnen erzählten Leidensgeschichte Jesu aus diesem Gottesknechtlied entnommen (daß Jesus seinen Anklägern kein Wort erwidert habe - Mt. 27,12 - und daß er mitten unter Übeltätern gekreuzigt worden sei Mt. 27,38). Die Bezeichnung Jesu als das Lamm, das geschlachtet wird, die in vielen unserer Passionslieder uns vertraut ist und in der christlichen Kunst eine Rolle spielt, stammt aus diesem Kapitel. In unzähligen Karfreitagsgottesdiensten ist Jesaja 53 gelesen worden: "Fürwahr, er trug unsre Krankheit". Und die schöne Motette von Melchior Frank über diesen Text haben wir wohl auch schon bewegten Herzens gehört. Wir Christen haben diese biblischen Worte von dem Knecht, der der Allerverachtetste ist, auf dem die Strafe liegt, obwohl er unschuldig leidet, auf Jesu Leiden gedeutet, wie es schon die neutestamentlichen Schriftsteller tun. Dagegen ist nichts zu sagen. Das trifft ja alles auch auf Jesus zu. Man kann wohl die alten Prophetenworte im Blick auf den auf Golgatha Gekreuzigten hören. Man kann aber mit solchem Prophetenwort auch et-was anderes tun. Man kann es aus dem jüdischen Boden herausreißen und es zur Anklage gegen die Juden ummünzen. Der Kirchenvater Augustinus liest Jes. 53,8: "Ob der Sünde meines Volkes war er zu Tode getroffen" und sagt dazu: "Dies ist von Christus gesagt, den ihr in euren Vätern zu Tode gebracht habt (Adv. Judäos 7). Wir haben den Schlüsse] zum Prophetenwort, ihr habt ihn nicht, euch gilt es nicht. So tönt es den Juden in die Ohren in den unzähligen erzwungenen Religionsgesprächen bis hin zu dem, das Luther mit den Prager Rabbinern in Wittenberg führt. Jesaja 53 ist euch weggenommen. Das gehört jetzt uns Christen, redet nur noch von Jesu Passion. Es ist an der Zeit, daß wir Christen mit der geistlichen Enteignung der Juden ein Ende machen. Es ist ganz gewiß, daß die Gestalt des leiden-den Knechtes Gottes ursprünglich nicht Jesus meint, sondern einen oder mehrere Propheten Israels 500 Jahre zuvor. Der namenlose Prophet in der Zeit der babylonischen Gefangenschaft, der dieses dunkle Lied gesagt u.nc_ geschrieben hat, hat einen Menschen seiner unmittelbaren Gegen-wart gemeint. Es ist ja alles von unmittelbar erlebter Geschichte gesagt: "Er trug unsre Krankheit"; "Als er gemartert wurde, tat er seinen Mund nicht auf". Das prophetische Lied sieht das dunkle Geheimnis stellvertretenden Leidens in Gottesknechten, di.e Israel zu jener Zeit gegeben warten. Sie haben alle ein Bild in der Hand. Der heute über 90-jährige jüdische Maler Marc Chagall legt uns auf eine ungewohnte Weise das Lied vom leidenden Gottesknecht aus, die uns aber helfen kann, aus unsrer dogmatischen Enge in die Weite und Wirklichkeit biblischer Verheißung zurückzufinden. Da hängt er am Kreuz. Und es ist keine Frage, daß Chagall an Jesus von Nazareth gedacht hat. Aber Jesus ist ihm der Vertreter und das Symbol seines eigenen jüdischen Volkes. Als Marc Chagall 1940 aus Frankreich in die Vereinigten Staaten floh, da beginnt diese Leidensgestalt am Kreuz in seinen Bildern immer wieder aufzutauchen. Und immer inmitten der leidenden Juden jener Zeit, inmitten der von Hitler und seinen Helfershelfern gejagten, geschändeten und gemordeten Juden hängt der Jude Jesus von Nazareth am Kreuz, der Bruder seiner geschändeten Brüder. Er trägt als Lendentuch den Tallith, den Gebetsmantel, den der Jude beim gottesdienstlichen Gebet am Sabbat trägt. Zu seinen Füßen brennen die Sabbatkerzen. Rund um dieses Kreuz ist der Kranz jüdischen Elends, das in unsrer und unsrer Väter Zeit im Christentum aufgewachsene, allermeist getaufte Menschen den Juden bereitet haben. Rechts oben brennt eine Synagoge, kenntlich an den beiden Tafeln der Tora, an dem Davidstern und an den beiden Löwen, die den Stamm Juda symbolisieren. Einer der Schergen und Brandstifter wirft Gegenstände aus dem Gotteshaus auf die Straße. Oberhalb des Kreuzes schwebt mit Männern und Frauen der aus dem Gotteshaus vertriebene Rabbiner. Links rücken die Mörder an mit Fahnen und Mordwerkzeugen. Die zerstörten Häuser des ostjüdischen Städtchens brennen, und Tote liegen auf der Straße. Unter den brennenden Häusern eine andere Szene der gleichen Zeit der Gottesfinsternis: Schiffbrüchige, die um Hilfe rufen, weil ihr überladenes Boot unterzugehen droht. Der Maler denkt an die seeuntüchtigen Schiffe, auf die die Gestapo auf der Donau gegen hohe Summen verzweifelte Juden lädt, damit sie die meist todbringende Fahrt durch das Schwarze Meer und das Mittelmeer nach Palästina antreten, um auch die letzte Chance zu nutzen, den unbarmherzigen Henkern zu entgehen. In Haifa am Strand sieht der Besucher des Landes noch heute eines der seeuntüchtigen Fluß-schiffe, das das Glück hatte, die rettende Küste zu erreichen, während ungezählte dieser Schiffe mit verzweifelten Menschen an Bord untergegangen sind, mit den Brüdern und Schwestern dessen, der da inmitten des Bildes am Kreuz hängt. Unten auf dem Bild ein alter Mann mit dem Brustschild des aaronitischen Priesters und ein anderer, der mit einer Schriftrolle flieht. Rechts unten liegt die Torarolle geöffnet auf der Straße. Ein Mann flieht vor dem Grauen mit einem Sack auf dem Rücken, in dem die geringe Habe steckt, die ihm geblieben ist. Eine Mutter mit dem Säugling im Arm flieht in die andre Richtung. Merken wir, was uns Christen, die wir so sicher meinen, wir und wir allein hätten mit unsrer Christusdogmatik den Schlüssel zum prophetischen Wort, zugemutet wird? Da sagt uns ein Jude mit dem Pinsel des Malers in der schrecklichen Zeit, die unsre Väter und wir miterlebt und durch unser Schweigen und ohnmächtiges (oder womöglich sogar duldendes) Zu-sehen mitverschuldet haben: Hier hängen meine Brüder am Kreuz. Die Gemordeten, Geschändeten, Ertrunkenen, Verbrannten, Verzweifelten hängen am Kreuz. Das ist der leidende Gottesknecht, der an allem schuld sein soll, auf den alles Unrecht und aller Fluch geladen wird. Da sind die Brüder des leidenden Gottesknechtes, die unschuldig Ermordeten, deren Synagogen brennen, die mit Kindern und Torarollen geflohen sind. Das Kreuz Jesu, unsres jüdischen Bruders, ist unser Kreuz. Ihr könnt es uns nicht wegnehmen, weil wir mit euren Glaubensformeln nicht übereinstimmen. Das prophetische Wort nehmen wir an unser Herz, weil wir auch die aus tiefem Dunkel aufleuchtende Verheißung in unser Herz nehmen wollen. Es ist ein Wunder zu nennen, daß der jüdische Maler im Jahr 1940, als seine Brüder wie das Ungeziefer ausgerottet wurden, auf diesen Bruder der Ermordeten einen Lichtstrahl fallen läßt, der durch die Flammen der brennenden Synagoge in das Elend hineinfällt. Ob er an das Licht der Verheißung gedacht hat mitten im Dunkel jener Tage, mit dem das Gottesknechtslied Jesaja 53 ausklingt? "Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat, wird er Nachkommen haben und in die Länge leben, und des Herrn Plan wird durch seine Hand gelingen. Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das L i c h t schauen und die Fülle haben." Er wird wohl an dieses Licht der Verheißung gedacht Und sich an diese Hoffnung geklammert haben. Er hat es mit Recht getan, weil zuerst diese Verheißung seinem Volk und ihm gegeben wurde und weil der Bund nicht gekündigt ist. Manche Christen beginnen heute zu ahnen, daß wir zu Unrecht dieses prophetische Wort den Juden weggenommen haben, um es nur und ganz allein auf Jesus zu deuten, so wie wir ihn verstehen. Wir können als Christen nur A n t e i l haben an der Israel gegebenen Verheißung. Wir können an Jesus nur Anteil haben, wenn wir uns zu denen stellen, die da um ihn sind, in deren Nerven und Gliedern noch heute das Grauen sitzt. Nur wenn wir erkennen, daß sein Kreuz inmitten seines Volkes Israel steht, können auch wir ihn unsre Hoffnung und unsren Heiland nennen. Aller christliche Hochmut und Besitzerstolz diesem Volk gegenüber wird uns genommen. Denn unsre Verachtung, unsre Gleichgültigkeit gegenüber diesem ersten Adressaten des Wortes Gottes hat den Brüdern und Schwestern Jesu in unsrer Mitte das Kreuz bereitet. Und sie haben durch die "christlichen" Jahrhunderte hindurch viel mehr von dem getragen, was Jesus von seinen Jüngern erwartet: "Nehmet auf euch mein Kreuz und lernet von mir." Ich schließe mit einem Gebet, das den Geist von Jesaja 53 atmet, das der Rabbiner Leo Baeck nach seiner Errettung aus dem Konzentrationslager Theresienstadt gebetet und überliefert hat. In diesem jüdischen Gebet lebt der Geist von Golgatha: "Friede sei den Menschen, die bösen Willens sind, und ein Ende sei gesetzt aller Rache und allem Reden von Strafe und Züchtigung ... Aller Maßstäbe spotten die Greueltaten; sie stehen jenseits aller Grenzen menschlicher Fassungskraft, und der Blutzeugen sind gar viele ... Darum, o Gott, wäge nicht mit der Waage der Gerechtigkeit ihre Leiden, daß Du sie ihren Henkern zurechnest und von ihnen grauenvolle Rechenschaft forderst, sondern laß es anders gelten. Schreibe vielmehr den Henkern und Angebern und Verrätern und allen schlechten Menschen zugut und rechne ihnen an all den Mut und die Seelenkraft der andern, ihr Sichbescheiden, ihre hochgesinnte Würde, ihr stilles Mühen bei alledem, die Hoffnung, die sich nicht besiegt gab, und das tapfere Lächeln, das die Tränen versiegen ließ, und alle Opfer, all die heiße Liebe ... alle die durchpflügten, gequälten Herzen, die dennoch stark und immer vertrauensvoll blieben, angesichts des Todes und im Tode, ja auch die Stunden der tiefsten Schwäche ... Alles das, o mein Gott, soll zählen vor Dir für die Vergebung der Schuld als Lösegeld, zählen für eine Auferstehung der Gerechtigkeit - all das Gute soll zählen und nicht das Böse. Und für die Erinnerung unserer Feinde sollen wir nicht mehr ihre Opfer sein, nicht mehr ihr Alpdruck und Gespensterschreck, viel-mehr ihre Hilfe, daß sie von der Raserei ab-lassen... Nur das heischt man von ihnen - und daß wir, wenn nun alles vorbei ist, wieder als Menschen unter Menschen leben dürfen und wieder Friede werde auf dieser armen Erde über den Menschen guten Willens und daß Friede auch über die andern komme." (Leo Baeck
in 'Angst-Sicherung-Geborgenheit' von Theodor Bovet, Bielefeld 1975) |
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