Starke Hand gesucht

Autoritäre Einstellungen und Angst vor Fremden stecken auch in den Köpfen der bürgerlichen Mitte

von Gunter Hofmann

Entspringt der Rechtsextremismus in der "Mitte der Gesellschaft"? Vielen gilt diese These als Wahnidee von links. Doch die jüngste Studie über die "gesellschaftliche Akzeptanz von Rechtsextremismus und Gewalt", geschrieben im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, belegt diesen Befund. Es handelt sich um eine breit angelegte Repräsentativbefragung aus dem Münchner Institut polis, ergänzt um Gruppendiskussionen in Erfurt, Leipzig, Bochum und München. Sie untermauert die Annahme, dass in der Bundesrepublik nach wie vor eine stark autoritäre Mentalität zu Hause ist - im Osten und im Westen, in Unter-, Mittel- und Oberschichten.

Dem Satz, dass "Recht und Ordnung in Deutschland in Gefahr sind", stimmen im Osten 26 und im Westen 21 Prozent "voll und ganz zu". Infolgedessen wird nach einer "starken Hand" für Deutschland gerufen. Ein Fünftel fordert sie uneingeschränkt, weitere 44 Prozent (West: 39 Prozent) tendenziell. Eine Mehrheit der Deutschen glaubt, "nur einer, der durchgreift und eine starke Partei im Rücken hat, kann es schaffen, die gegenwärtigen Probleme in den Griff zu kriegen". Diese autoritären Einstellungen werden überdurchschnittlich stark von Älteren, geringer Gebildeten mit eher niedrigem Haushalts-Nettoeinkommen sowie in Ostdeutschland vertreten. Auch hier gilt: Die Anhänger von SPD und CDU stimmen gleich häufig zu, die Grünen heben sich von solchen Denkmustern allerdings positiv ab.

Unverändert wird der Anteil von Ausländern an der Gesamtbevölkerung dramatisch überschätzt. 10 Prozent glauben, er bewege sich zwischen 31 und 45 Prozent, 15 Prozent nehmen 21 bis 30 Prozent an, 36 Prozent schätzen, dass er zwischen 11 und 20 Prozent liege - in Wahrheit sind es bundesweit knapp 9 Prozent.

42 Prozent derjenigen, die mit dem politischen System unzufrieden sind, stimmen dem Urteil zu, dass "ausländische Männer deutsche Frauen und Mädchen anmachen, und zwar mehr als deutsche Männer". 34 Prozent sagen, "die Ausländer nehmen uns die Arbeit und Wohnungen weg". Immerhin 12 Prozent zeigen "Verständnis" für Leute, die Gewalt gegen Ausländer verüben, und 15 Prozent finden "Aktionen gegen Ausländer in Ordnung, denn irgendwer muss doch was tun". Zum Vergleich: 18 Prozent derjenigen, die mit dem politischen System zufrieden sind, und 27 Prozent der Unzufriedenen unterschreiben den Satz: "Ich kann verstehen, dass die Jugendlichen immer gewalttätiger werden - sie müssen sich wehren."

"Ausländer provozieren durch ihr Verhalten selbst die Ausländerfeindlichkeit": 48 Prozent der Zufriedenen, 54 Prozent der Unzufriedenen stimmen dem Satz zu. Und 32 Prozent (bei den Unzufriedenen gar 41 Prozent) erklären: "Deutsche Frauen sollten keine Ausländer heiraten."

Feine, aber wichtige Unterschiede zwischen Ost und West zeigen sich, fragt man die Bürger nach Erklärungen für die steigende Gewalt gegen Fremde. In den alten Ländern, fanden die Forscher heraus, wird an der These gezweifelt, dass Ausländer den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen, und hinzugefügt, "dass die gewalttätigen Jugendlichen dies aber glauben". In den neuen Ländern seien die Menschen hingegen von einem Verdrängungswettbewerb auf dem Arbeitsmarkt im Großen und Ganzen überzeugt.

In den alten Ländern wird der wachsende Fremdenhass darauf zurückgeführt, dass die Fähigkeit der Gesellschaft erschöpft sei, die Einwanderer zu integrieren. In Gegenden mit hohem Ausländeranteil wie dem Ruhrgebiet stört man sich an deren "aggressivem Auftreten". Hier beschwere man sich zum Teil sehr emotional darüber, dass die "Ausländerfrage tabuisiert" werde: "Ich war eigentlich immer ein Liberaler, aber man muss auch sehen, dass die permanente Tabuisierung der Ausländerfrage zu einer Aggressivität führt, die zwar nicht gewollt ist, die man aber auch verstehen muss" (Angestellter, 35 Jahre).

In den neuen Ländern diagnostizierten die Meinungsforscher eine "Urangst" vor den Fremden. Dort sei man aus DDR-Zeiten den Umgang mit Ausländern nicht gewohnt, weil es sie kaum gab und sie völlig isoliert lebten. Fremde hätten heute die Funktion übernommen, die früher der Klassenfeind hatte: "Wenn du ein Feindbild gehabt hast, dann brauchst du einfach eines. Das ist in den DDR-Bürgern ganz fest und ganz tief drin. Das zieht sich durch sämtliche Altersgruppen und durch sämtliche soziale Schichten" (Frührentner, 55 Jahre). Die Mehrzahl der Teilnehmer an den Gruppendiskussionen glaubt nicht an ein stringentes rechtsextremes Weltbild jugendlicher Gewalttäter. "Die haben so viel im Kopf wie auf dem Kopf" (Lehrer, 32 Jahre).

Einer weiteren Zuwanderung, so lautet in Ost und West das Fazit, stehen die Deutschen überwiegend ablehnend gegenüber. Der Tenor: Es reicht. Die Anzahl der Zuwanderer müsse gesteuert und begrenzt, eine gerechtere Verteilung auf Europa gewährleistet werden.

Die Seelenlage der Deutschen, betrachtet durch das Okular der Demoskopen: Das allgemeine Lebensgefühl in Ost wie West mag sich angenähert haben. Das Wertgefüge deckt sich, glückliches Familienleben, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit, Sicherheit (auch finanzielle) stehen obenan, nur "Freiheit" und der "Glaube an Gott" gelten im Westen spürbar mehr. Demgegenüber ist im Osten das Gefühl der Orientierungslosigkeit verbreiteter, das "Angstniveau" liegt höher als im Westen. Die Grundhaltung bei fast der Hälfte: fatalistisch. Insgesamt ergibt sich das Bild einer Gesellschaft, die beunruhigt auf die Realitäten reagiert. Darin zeigt sich ein Versagen der Politik: Sie wagte sträflich lange nicht zu vermitteln, dass die Bundesrepublik ein Einwanderungsland ist - und mehr noch, dass sie Zuwanderung braucht.

Was die latent autoritären Einstellungen angeht, ähneln die Ergebnisse erstaunlich denen der Sinus-Studie aus dem Frühjahr 1981, die lange vor der Wiedervereinigung im Auftrag des Kanzleramts "rechtsextreme politische Einstellungen" erforschte. Das löste damals heftige Abwehrreaktionen aus: Das deutsche Volk werde beleidigt. 13 Prozent der Wahlbevölkerung, hatte das Sinus-Institut seinerzeit ermittelt, hätten ein "ideologisch geschlossenes rechtsextremes Weltbild". Noch heftiger wurde der andere Befund befehdet: Das autoritär gestimmte Potenzial belaufe sich auf 37 Prozent. Und: Über alle Parteien sei es ziemlich gleichmäßig verteilt. Das verstieß gegen die vorherrschende Meinung, im Unterschied zum Linksextremismus sei der Rechtsextremismus ein Randproblem. Nein, es gebe sie immer noch, und noch immer sei sie weit verbreitet, die "autoritäre Persönlichkeit", von der Theodor W. Adorno in seiner legendären Untersuchung Anfang der vierziger Jahre gesprochen hatte: So lautete damals die alarmierende und verstörende Diagnose der deutschen Seelenlage.

Sie verstört heute vermutlich kaum weniger. Rechtsextremismus ist bei denen, die sozial schlechter gestellt sind, besonders verbreitet, aber er ist beileibe kein reines Unterschichtenphänomen. Und erst recht sind die autoritären Einstellungen dahinter ein Problem der bürgerlichen Mitte geblieben, die sich bereitwillig zur staatlichen Protestkundgebung gegen den Rechtsextremismus versammelt, die NPD verbieten möchte, mit dem Finger auf ein paar Außenseiter am Rande zeigt und guten Gewissens unverändert die Reflexion über ihre eigenen Widersprüche, Ängste und Ressentiments abwehrt.

Hat Kurt Biedenkopf nicht soeben die These stark gemacht, der "Fall Sebnitz" belege, wie eine "neue Mauer" zwischen Ost und West entstehe, wenn Medien und Politik fahrlässig mit Mutmaßungen über den Osten umgingen? In seinem Sachsen jedenfalls gebe es diesen Hass, solche Auswüchse, Morde an Fremden nicht. Biedenkopf irrt. Ein differenziertes Bild der Mentalität in der "Mitte" offenbart anderes und hat sich mit dem Verweis auf "Sebnitz" auch nicht erledigt: "Das wird von einer Generation an die nächste weitergegeben. Viele denken so" (Angestellte, 34 Jahre); "diese national befreiten Zonen können ja nur stattfinden, weil alle so denken" (Kindergärtnerin/Ost).

DIE ZEIT 52/20.12.2000

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