Mose b. Maimon - Stationen seines Lebens
von Stefan Schreiner
Siehe, Galens Heilkunst allein dem Körper gilt,
Abu Imrans Heilkunst aber Körper und Geist.
Wenn er die [heutige] Zeit durch sein Wissen kurieren sollte,
mit Wissen heilte er sie von der Krankheit der Unwissenheit.
Und wenn es der Vollmond wäre, der ihn um Heilung
ersuchte,
durch ihn erlangte er, was an Vollkommenheit er von ihm erbittet:
am Tag des Vollmonds befreite er ihn von seinen braunen Flecken,
und von der Schwindsucht heilte er ihn am Tag vor Neumond.
Mit diesen Versen, meine Damen und Herren, besang einst
der in Kairo lebende arabische Dichter und Gelehrte Ibn Sana' al-Mulk
(1165-1211/2) seinen Zeitgenossen, den Arzt und Philosophen Moses Maimonides,
an den die Ausstellung erinnert, die von heute an hier in der Börnegalerie
zu sehen ist.
Auch wenn es m. W. keinen schriftlichen Beleg dafür
gibt, anzunehmen ist gleichwohl, daß sich Ibn Sana' al-Mulk und
der von ihm besungene Moses Maimonides persönlich gekannt haben und
des öfteren wohl auch be-gegnet sind - lebten doch beide zur selben
Zeit in derselben Stadt. Nicht zu bestreiten ist zudem, daß der
arabi-sche Dichter mit seinen Versen nicht nur zu Maimonides' Ruhm beigetragen,
sondern auf seine Weise damit zugleich auch bezeugt hat, daß der
Arzt und Philosoph Maimonides, wie vor hundert Jahren bereits Rabbiner
Isaak Münz schrieb, "nicht nur der Nation angehört, der
er entsprossen ist".
Tatsächlich steht der Name Moses Maimonides als Symbol
der Vermittlung eines Wissens, das ebenso unter-schiedlichen Kulturen
entstammt wie in unterschiedliche Kulturen hinein ausgestrahlt hat, ganz
zu schweigen von seinem Platz unter den großen arabischen Ärzten
des Mittelalters. Nicht ohne Grund hat ihn der arabische Lexikograph Ibn
abi Usaibi'a in seinem biographischen "Handbuch der Ärzte"
unter die bedeutenden "Ärzte der Ifriqijja (Nordafrika) und
al-Andalus (Spanien)" eingereiht. Wie Maimonides sein Wissen aus
jüdischen und weit mehr noch aus griechisch-arabischen Quellen geschöpft
hat, so hat er mit seinem Wissen wiederum auf Gelehrte auch außerhalb
des Judentums eingewirkt, ablesbar nicht zuletzt an der Rezeptions- und
Wirkungsge-schichte seiner Werke, die - sofern sie arabisch geschrieben
sind - zum Teil zu seinen Lebzeiten bereits ins Hebräische und später
ins Lateinische übersetzt worden sind. In den Vorträgen, die
die Ausstellung begleiten, wird davon noch genauer berichtet werden.
Wer aber war Moses Maimonides?
Mit seinem hebräischen Namen hieß er Mose (Moeh)
ben Maimon, mit seinem arabischen Namen Abu 'Imran Musa ibn Maimun 'Ubaid
Allah. In der jüdischen Welt ist er unter dem Akronym, das heißt,
unter dem aus den Anfangsbuchstaben seines Namens Rabbi Mose ben Maimon
gebildeten Kürzel RaMbaM bekannt, in der a-bendländischen Welt
unter der latinisierten Form seines Namens als (Moses) Maimonides bekannt.
Die Scholas-tiker nannten ihn einst Rabbi Moysis.
Geboren wurde Maimonides nach unserem Kalender am 30.
März 1138 im andalusischen, damals unter islami-scher Herrschaft
stehenden Córdoba. Gestorben ist er - wiederum nach unserem Kalender
- am 13. Dezember 1204, vor 800 Jahren also, im ägyptischen Fustat,
der Altstadt des heutigen Kairo. Dazwischen liegt eine Le-bensgeschichte,
die die ganze Ambivalenz jüdischer Existenz im Spannungsfeld zwischen
Islam und Christen-tum, unter islamischer und christlicher Herrschaft
reflektiert.
Wie die Lebensgeschichte vieler anderer, beleuchtet auch
und gerade Mose b. Maimons Lebensgeschichte die Tragik dessen, was man
convivencia genannt hat, das Zusammenleben von Juden, Muslimen und Christen
im Mittelalter. Wie dieses Zusammenleben einerseits unvergleichliche und
bis heute ebenso beeindruckende wie nachwirkende geistig-kulturelle Leistungen
hervorgebracht hat, so steht es andererseits für das Scheitern eines
friedlichen, wenn schon nicht Miteinanders, so doch zumindest Nebeneinanders
der drei abrahamitischen Religi-onen.
Maimonides entstammt einer alten Gelehrtenfamilie, in
der er seine jüdische und arabische Bildung erhält. Der Vater
war denn auch sein erster Lehrer, an dessen Unterricht und Bibliothek
er sich später immer wieder erin-nert. Die behüteten Kinderjahre
in Córdoba waren jedoch bald zu Ende. Im Alter von 12 Jahren erlebt
Maimoni-des zum ersten Mal die Folgen religiösen Fanatismus. 1148
erobern die aus Nordafrika heranstürmenden, in ihrem Glaubenseifer
für den Islam unerbittlichen Almohaden (al-muwahhidun), die "Bekenner
der Einheit und Ausschließlichkeit Gottes", unter ?Abd al-Mu'min
(1146-1163), Córdoba und Sevilla und stellen die nichtmus-limischen
Bewohner vor die Wahl, entweder den Islam anzunehmen oder zu emigrieren.
Viele Juden flüchten in den unter christlicher Herrschaft stehenden
Norden Spaniens, andere konvertieren zum Islam. Wieder andere suchen ihr
Heil in der Flucht übers Meer nach Süden, nach Nordafrika. So
auch die Familie Maimon, für die ein Jahrzehnt erzwungener Wanderschaft
anbricht, die sie quer durch Andalusien und schließlich nach Marokko,
nach Fes führt, der Stadt der berühmten Universität al-Qairawina,
(Qairaouine), die ihr den Beinamen "Baghdad des Maghreb" eingetragen
hatte.
An dieser Universität soll im 10. Jahrhundert übrigens
der nachmalige Papst Silvester II. u. a. Mathematik stu-diert haben; und
es heißt, daß die indisch-arabische Mathematik von hier aus
ihren Weg nach Europa angetreten hat.
Die Jahre in Fes sind für Mose b. Maimon eine Zeit
intensiven Lernens. Er beginnt mit dem Studium der Algeb-ra, Geometrie
und Mechanik und setzt es mit dem Studium der Astronomie und Astrologie,
vor allem aber der Medizin fort, in der er "eine der vorzüglichsten
gottesdienstlichen Tätigkeiten" sieht, denn die Gesundheit des
Körpers ist die Voraussetzung für die Erlangung von Erkenntnis.
Darüber hinaus studiert er die großen Werke der islamischen
Theologie und Religionswissenschaft und schließlich der Philosophie.
Zugleich verfaßt Maimo-nides in Fes seine ersten zum Teil arabisch,
zum Teil hebräisch geschrieben Werke. Und beide Sprachen bleiben
auch fernerhin "seine" Sprachen.
Auch Fes sollte nur eine Zwischenstation auf der Wanderung
bleiben. Nach wenigen Jahren schon verschlechter-te sich die Situation
der Andersgläubigen in Marokko zusehends. Der gewaltsame Tod eines
Lehrers und Freun-des der Familie gibt das Signal zu erneuter Flucht,
diesmal über die Hafenstadt Ceuta weiter mit dem Schiff übers
Mittelmeer nach Akko, das zu jener Zeit von den Kreuzrittern beherrscht
ist.
Wohl weil sie in dem von den Kreuzrittern beherrschten
Land keine Möglichkeit fand, sich niederzulassen und ihren Lebensunterhalt
zu verdienen, sieht sich die Familie Maimon genötigt, ihre Wanderung
fortzusetzen.
Nächstes Ziel ist die Hafenstadt Alexandria in Ägypten,
in dem seit dem Jahre 909 die schiitische Dynastie der Fatimiden regiert.
1171 wird ihre Herrschaft durch Sultan Salah ad-Din b. Ayyub (1137-1193),
den Saladin des Westens, beseitigt, der 1187 die Kreuzritter am Horn von
Hattin besiegt und damit das Ende ihrer Herrschaft im heiligen Lande eingeleitet
hat. Er war es auch, der die Juden förmlich eingeladen hat, sich
wieder in Jerusalem anzusiedeln, aus dem sie die Kreuzritter vertrieben
hatten. Der Chronist Abraham bar Hillel sprach sicher für viele Juden,
wenn er Salah ad-Din "einen gerechten König" nennt.
Bald nach ihrer Ankunft in Alexandria (1166) zieht die
Familie Maimon bereits weiter nach Fustat bzw. Misr al-'atiqa ("Alt-Kairo"),
damals eine Vorstadt von Kairo, das zwar kleiner als Alexandria war, aber
die größte und bedeutendste jüdische Gemeinde in Ägypten
beherbergte. Fustat sollte nicht nur das nächste Ziel, sondern die
letzte Station auf der Wanderschaft der Familie Maimon und zu ihrer neuen
Heimat werden. Hier in Fustat schreibt oder vollendet Maimonides alle
seine großen philosophischen und halachischen, religionsgesetzlichen
Werke, jene also, die ihn in seiner neuen Heimat alsbald zum gefeierten
Lehrer und Gelehrten nicht nur seiner Generation aufsteigen lassen.
Jedoch, kaum angekommen, trafen Mose b. Maimon und seine
Familie Maimon zwei schwere Schicksalsschlä-ge: Erst stirbt die Mutter,
bald darauf der Vater, und dann kommt der Bruder bei einem Schiffsunglück
ums Leben, der Bruder, der als Kaufmann nicht unwesentlich zum Lebensunterhalt
der Familie beigetragen hatte. Vor die Frage gestellt, wie er, Mose b.
Maimon, nun seinen und seiner Familie Lebensunterhalt bestreiten soll,
wird er Arzt, wie viele andere große jüdische Denker und Lehrer
vor und nach ihm. War ihm doch die Medizin seit seiner Studienzeit in
Fes Teil des Lebens geworden. Als Arzt ist er bald ebenso geachtet und
berühmt wie als Gelehrter geschätzt und verehrt. Dank seines
medizinischen Könnens holt ihn schließlich al-Fadil, Sultan
Salah ad-Dins Richter und Wesir, an den Hof. Wenn Maimonides auch - anders
als die Legende es will - nicht Salah ad-Dins Leibarzt, sondern erst Leibarzt
seines Sohnes und Nachfolgers al-Afdal b. Salah ad-Din (1193-1225) geworden
ist, wurde er dank al-Fadils Protektion jedoch ins Verzeichnis der Hofärzte
aufgenommen, was ihm den Bezug eines ordentlichen Jahresgehaltes ermöglichte.
Um die Nähe zum Hof noch größer werden
zu lassen, heiratete Mose b. Maimon die Schwester des Höflings Abu
l-Ma'ali, der einer der Frauen des Sultans und Mutter des bereits erwähnten
späteren Sultans al-Afdal b. Salah ad-Din als persönlicher Sekretär
diente. (Im Gegenzug heiratete Abu l-Ma'ali Mose b. Maimons Schwes-ter.)
Aus seiner Ehe mit Abu l-Ma'alis Schwester hervorgegangen ist Abraham
b. Mose b. Maimon (1186-1237), der sich später als treuer Sachwalter
des geistigen Erbes seines Vaters verdient gemacht hat.
Aufgrund seines hohen Ansehens in der jüdischen Gemeinde
und seiner Stellung als Arzt am Sultanshofe wird Mose b. Maimon (1176)
zum ra'is al-yahud, zum "Oberhaupt der Juden" ernannt. Er erhält
ein Ehrenamt, das er bis zu seinem Tod innehat. Als ra'is al-yahud ist
er ein gefragter Richter und gleichermaßen unermüdlicher Ausleger
der Halacha, des jüdischen Religionsgesetzes. Ihren literarischen
Niederschlag findet diese Tätigkeit zum einen in seinen rabbinischen
Responsen, seinen auf entsprechende Anfragen hin erteilten Rechtsentschei-den,
und zum anderen in seinen zahlreichen Briefen.
Welches Ansehen Mose b. Maimon zu Lebzeiten bereits genoß,
bezeugen nicht zuletzt die ehrenden Beinamen "unser Lehrer und Meister",
"größter Lehrer in Israel", "Leuchte des Westens
und des Ostens", "Banner der Weisen" etc., mit denen er
von seinen jüdischen Zeitgenossen bedacht worden ist. Spätere
Deutung hat in ihm gleichsam die Erfüllung des Bibelwortes gesehen
und sein Akronym RaMBaM als (le-ma?an) revot moftai be-erets mitsrayim
"(damit) sich mehren meine Wunder im Lande Ägypten" (2.
Mose 11,9) gelesen.
Daß er, als sich die Nachricht von seinem Tod verbreitete,
drei Tage lang von Juden und Muslimen gleicherma-ßen beweint wurde,
wie die spätere Überlieferung zu berichten weiß, kann
da nicht überraschen. Die Legende will zudem, daß er seinem
Sohn Abraham - wie einst Jakob seinem Sohn Josef (1. Mose 50,5 und 12)
- aufge-tragen haben soll: "Begrabe mich nicht in Ägypten".
Also habe man ihn nach Eretz Israel überführt und in Tibe-rias
"etwa zwanzig Schritte von den Gräbern Jochanan ben Sakkais
und seiner Schüler" begraben. Wie die Le-gende weiter erzählt,
soll den Trauerzug auf seinem Wege nach Tiberias eine Schar Beduinen überfallen
haben, aber sie vermochten den Sarg nicht von der Stelle zu bewegen. Ergriffen
von diesem Wunder, haben sie sich daraufhin dem Trauerzug angeschlossen
und ihn bis zur Begräbnisstätte begleitet.
Am 13. Dezember 2004 wird es 800 Jahre her sein, daß
Mose b. Maimon gestorben ist. An ihn zu erinnern, ist Anliegen dieser
Ausstellung. Den Stationen seines Lebensweges folgend, gibt sie in ihren
sieben Abschnitten einen Einblick in die Biographie und das Schaffen des
Arztes, Philosophen und Oberhauptes der Juden. Zugleich möchte sie
Mose b. Maimon als Repräsentanten jener pluralistischen arabischen
Kultur des Mittelalters zeigen und würdigen, die als Wiege der neuzeitlichen
europäischen Kultur- und Geistesgeschichte anzusehen ist und heute
mehr noch als gestern verdient, ins kollektive Gedächtnis zurückgerufen
zu werden.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
REDE ZUR ERÖFFNUNG DER AUSSTELLUNG MOSES MAIMONIDES
AM 8. SEPTEMBER 2004 IM JÜDISCHEN MUSEUM FRANKFURT AM MAIN ©
Prof. Dr. Stefan Schreiner, Universität Tübingen - Institutum
Judaicum, Liebermeisterstr. 12 / D - 72076 Tübingen
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