"Er war doch ein Held"
Oskar-Schindler-Biografie von David M. Crowe
Mister Crowe, vor kurzem gab es mehrere Berichte, wonach
Sie in Ihrem neuen Buch Zweifel an Oskar Schindlers Heldenimage und an
der Existenz der berühmten Liste hegen. Stimmt das?
crowe: Nein, das ist die Presse. Es gab eine unglückliche Besprechung
in der "New York Times". Die Rezensentin hat die Essenz des
Buches einfach nicht verstanden.
Sie hebt sehr auf die dunkle Seite Schindlers ab
crowe: Die "New York Times" schrieb, Schindler sei korrupt gewesen.
Das muß man aber in Relation setzen. Er führte seine Fabrik
wie jeder Deutsche und jeder Pole eine Firma im Krieg führte - auf
dem Prinzip der Schwarzmarkt-Wirtschaft. Jeder Unternehmer in Polen war
faktisch ein Betrüger.
Sie verteidigen Schindler mehr als Sie ihn angreifen?
crowe: Oh ja. Der Frauenheld und Trinker, der in Steven Spielbergs Film
porträtiert wird, spielt in meiner Geschichte eine untergeordnete
Rolle. Nicht, daß er es nicht tat. Aber im großen Zusammenhang
ist es ohne Bedeutung. Das einzige, das man über ihn sagen könnte
- und das ist kontrovers, weil es 1962 mehr oder weniger verhinderte,
daß Yad Vashem ihn einen Gerechten der Völker nennen sollte
- war die Tatsache, daß er zu Anfang des Krieges jüdisches
Eigentum gestohlen und einige Schindler-Juden geschlagen hat, die ihm
das nach dem Krieg vorwarfen. Er hat, anders als im Film, schrittweise
eine moralische Wandlung durchgemacht. Zu Beginn des Krieges gab es Situationen,
in denen er versuchte, der Supernazi zu sein, und in der er zumindest
einen Juden auch geschlagen hat. Aber er war im Herzen ein guter Mensch
und zunehmend angewidert von der Nazi-Politik gegenüber den Juden.
Wie äußerte sich das?
crowe: Immer mehr und immer öfter hat er dann jüdischen Arbeitern
geholfen. Er hat sie am Ende nicht nur gerettet, er hat sie auch mit Kleidung
und Nahrung versorgt. Viele, die in andere Lager geschickt wurden, überlebten
den Krieg, weil Schindler sie gesund gemacht hatte. Hat er jüdisches
Eigentum gestohlen? Ja, natürlich. Jeder Deutsche, der nach Polen
kam und vormals jüdischen Besitz übernahm, hat diesen gestohlen.
Die Emaille-Fabrik in Krakau, die er übernahm, hatte Juden gehört.
Aber diese Fabrik war schon vor dem Krieg bankrott.
Ihr Buch stützt sich auf Zeitzeugen-Interviews und
Dokumente, die Sie bei der Schindler-Bekannten Ami Staehr gefunden haben.
Wie kam es dazu?
crowe: Das war der wichtigste Fund, aber nicht der einzige, auf den ich
mich stütze. Ich arbeitete sehr eng mit der Familie Staehr zusammen.
Ich bezeichne Ami Staehr im Buch nicht als Oskars Geliebte, sondern als
seine enge Freundin, weil ich sehr viel Respekt vor ihr habe. Die Unterlagen
beziehen sich hauptsächlich auf Schindlers Leben nach dem Krieg.
Er zieht in die Gegend von München. Er hat wenig Erfolg. 1949 gibt
ihm das "American Jewish Joint Distribution Committee" fünfzehntausend
Dollar, damit er sich in Argentinien ein Geschäft aufbauen kann.
Letzlich scheiterte Schindler nach dem Krieg. Warum?
crowe: Ich bin kein Psychologe. Aber mein Gefühl ist, daß er
tief verwundet war. 1938 wurde er von der Abwehr verhaftet, es gibt Hinweise
auf Folter. Im Krieg wurde er dreimal von der Gestapo festgenommen. Er
hatte ein schizophrenes Leben führen müssen. Auf der einen Seite
mußte er sich als der Supernazi gerieren, der gute Beziehungen zur
Gestapo und SS unterhielt, auf der anderen Seite übernahm er die
Rolle des guten Freundes der Juden. Ich glaube, der Streß, der Terror,
den er gefühlt haben muß, hatten dramatische Folgen für
ihn. Er kam mit einem ernsthaften Alkoholproblem aus dem Krieg. Im Krieg
hatte er wirtschaftlichen Erfolg. Aber ihm wurde mehr und mehr bewußt,
daß er seinen Reichtum mit jüdischer Zwangsarbeit angehäuft
hatte. Das konnte er schließlich schlecht wiederholen.
Was war Schindlers Liste? Sie schreiben, es habe mehrere
Listen gegeben.
crowe: Ich habe insgesamt dreizehn ge-zählt. Der Grund, das zu untersuchen,
ist die fiktive Szene im Film, als Schindler Isaac Stern über die
Schulter sieht und ihm diese Liste, all diese Namen diktiert. Das ist
so nie passiert. Schindler hatte mit dem physischen Verfassen der Listen
nichts zu tun. Er saß zu diesem Zeitpunkt in Haft. "Schindlers
Liste" existiert nicht im Sinne des Films. Aber es gibt Listen für
Transporte zu Schindlers Fabrik.
Ist das sechzig Jahre nach dem Krieg überhaupt noch
wichtig?
crowe: Es gibt so viele Mythen, und es waren so viele Fragen offen. Aber
wir brauchen historische Anker. Was Schindler tat, war weit mehr, als
nur eine Liste zu erstellen. 1943 hatte er einen solchen Ruf als ein Freund
der Juden, daß ihn die "Jewish Agency" in Palästina
kontaktierte und nach Budapest brachte. Sie baten ihn, Fonds der Agency
von Budapest nach Krakau und in die Lager zu schleusen, um Juden durch
Bestechung und Schwarzmarkthandel zu helfen. Sein Leben war ständig
in Gefahr. Die andere wichtige Seite der Geschichte ist die Liebe zwischen
Schindler und seinen Juden. Im Krieg ist er ihr Beschützer, nach
dem Krieg beschützen sie ihn. Da findet eine weitere moralische Wandlung
statt, seine immer persönlicher werdenden Freundschaften zu Juden,
seine wachsende Liebe zu Israel. Es ist kein Zufall, daß er dort
beerdigt werden wollte.
Ist Schindler ein Held?
crowe: Schindler hat in Krakau viel Geld verdient. Er hätte die Fabrik
schließen und mit dem Vermögen zurück nach Deutschland
gehen können. Statt dessen hat er fast alles Geld darauf verwendet,
seine Juden am Leben und gesund zu erhalten. Er tat das direkt unter den
Augen der Nazis, und er tat es jahrelang. Er war doch ein Held. Es gibt
niemanden in der gesamten Geschichte des Holocaust, der mehr geleistet
hat. Ich bin stolz darauf, daß ich das beweisen konnte.
Das Gespräch führten Tobias Kaufmann und Helmut
Kuhn.
David M. Crowe ist Historiker und lehrt an der Elon University
in North Carolina. Sein Buch über Oskar Schindler wird im Herbst
im Eichborn-Verlag auf deutsch erscheinen.
Jüdische Allgemeine, 9.12.2004
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