Du sollst dir kein Bildnis machen
Wort-Bilder contra Bild-Bilder
von Michael Weinrich
1. Die Gefahr des Bilderdienstes
In der jüdisch-christlichen Tradition lautet das
Bilderverbot:
"Du sollst dir kein Gottesbild machen, keinerlei Abbild, weder dessen,
was oben im Himmel, noch dessen, was unten auf Erden, noch dessen, was
in den Wassern unter der Erde ist; du sollst sie nicht anbeten und ihnen
nicht dienen; denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger
Gott, der die Schuld der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte
Geschlecht an den Kindern derer, die mich hassen, der aber Gnade übt
bis ins tausendste Geschlecht an den Kindern derer, die mich lieben und
meine Gebote halten." (Ex 20,4-6; Zürcher Bibel)
Dieses Gebot gehört zu den Geboten der so genannten
linken Tafel, denen es um die Wahrung der Gottheit Gottes geht. Aber der
Schutz, den dieses Gebot gewähren will, gilt nicht allein Gott, sondern
vor allem denjenigen, die es halten sollen. Die Menschen sollen davor
bewahrt werden, der Versuchung zu erliegen, sich an einen selbst gemachten
Gott zu verlieren. Sie sollen vor der Trostlosigkeit bewahrt werden, den
lebendigen Gott und seine lebendigen Verheißungen aus den Augen
zu verlieren.
Es gibt nichts, was die Bedeutung des Bilderverbots prägnanter
erhellt, als die bekannte Erzählung von dem goldenen Stierbild am
Fuße des Sinai (Ex 32). Das aufgestellte Gottesbild sollte dazu
beitragen, den Gottesdienst erlebnisreicher zu gestalten. Der Hingabe
und Ganzheitlichkeit sollte im wahrsten Sinn des Wortes auf die Sprünge
geholfen werden, aber was herauskam, war ganz-heidnisch. Es wurde ein
prachtvolles Standbild errichtet, eine Art sichtbare Stellvertretung Gottes,
und um dieses Standbild herum wird im Tanz fromme Fröhlichkeit inszeniert.
Und so wird getanzt, gewiss nicht freudlos, aber wohl etwas leichtfüßig.
Alles, was wertvoll ist, wird in dieses Stierbild eingeschmolzen, die
goldenen Ringe und unsere Phantasie von Kraft und Stärke - ein Standbild
mit Augen betörendem Glanz, ein Gott zum Anfassen, zusammengegossen
aus der ganzen Herrlichkeit dieser Erde. Wie schnell Menschen zum Tanzen
gebracht werden können, haben wir noch vor wenigen Wochen nicht nur
in Rom beobachten können; - auch die Leichtfüßigkeit des
Kirchentags ist keineswegs davor gefeit, vor allem das leicht entzündliche
Feuer religiöser Wellness anzusprechen.
Doch da erscheint Mose, der Bilderstürmer, mit dem
Gebot Gottes in der Hand und bereitet dem bunten Treiben ein jähes
Ende. Erst liegt das Gebot Gottes in Scherben, dann aber der goldene Stier.
Dieser mit hohen Investitionen mühsam errichtete Inbegriff menschlicher
Werte und irdischer Schönheit liegt zerstört am Boden. Er sollte
uns helfen, die ungastliche Wüste ein wenig genießbarer zu
machen. Ein bisschen von dem gelobten Land, in das Gott uns zu führen
versprochen hat, wollen wir doch schon jetzt erleben. Der goldene Stier
hat uns eine Menge gekostet. Nicht nur uns selbst, sondern auch vielen
anderen haben wir das Geld dafür abgepresst - für einen guten
Zweck. Und wie gesagt: Das Glanzstück betört das Gemüt,
so dass man die unübersehbare Wüste drum herum zu vergessen
beginnt. In Las Vegas - diesem perfekten Vergnügungszentrum mitten
in der Wüste - ist immer etwas los, eine ebenso betörende wie
trügerische Glitzerwelt, in der sich im besten Fall genau das gewinnen
lässt, was dort investiert wird, vielleicht auch etwas mehr, aber
eben nichts anderes. Wahrscheinlicher aber ist, dass wir das, was wir
in diesen Wüstenglimmer investieren, verlieren werden. Noch hat kein
goldener Stier eine Wüste fruchtbar gemacht, um vom gelobten Land
ganz zu schweigen.
Der religiöse Goldrausch beschäftigt uns mit
uns selbst. Und weil bei diesem religiösen Schneewittchenspiel immer
einige Zweifel bleiben, treten wir immer wieder erneut vor den Spiegel
unserer Gottesbilder und hoffen auf die ersehnte Bestätigung. Ein
endloses Spiel der Selbstbeweihräucherung, in dem jede und jeder
mit seinem intimen Gottesbild für sich bleibt. Wenn der Mensch zu
Gott nicht aus sich herausgeht, sondern sich in seiner Frömmigkeit
in sich selbst hineintanzt, ist es kein Wunder, wenn er dann am Ende auch
allein sich selbst begegnet.
2. Die Notwendigkeit der Bilder
Wenn so deutlich auf die Gefahr des Bilderdienstes hingewiesen
wird, muss sogleich aber auch folgendes gesagt werden: Ganz gleich, auf
welche Weise wir von Gott zu reden versuchen, wir kommen nicht darum herum,
uns eine Vorstellung und somit ein Bild von ihm zu machen. Auch da, wo
nur etwas zu hören ist, gibt es stets etwas zu sehen. Begriffe und
Bezeichnungen sind Wort-Bilder. Selbst wenn sie etwas ganz Abstraktes
zur Sprache bringen wie etwa der Begriff Transzendenz oder
das Adjektiv unsichtbar, bleiben sie in unmittelbarer Verbindung
mit den wesentlichen Eigenschaften von Bildern: sie geben den Anstoß
dazu, dass sich zumindest in unserem Kopf etwas bildet.
Wenn wir von Gott sprechen, unternehmen wir den Versuch,
mit der von unseren Worten begrenzten Vorstellungskraft auch das auszudrücken,
was sich seinem Wesen nach nicht den Bedingungen der Diesseitigkeit unterwerfen
lässt. Wir sind nicht nur gezwungen, Äpfel mit Birnen zu vergleichen,
sondern dazu aufgefordert, Licht mit den Mitteln der Finsternis zu beschreiben,
Wasser mit dem Staub der Wüste, einen Kreis mit Hilfe von Vierecken
oder eine Flüssigkeit mit Hilfe eines Geodreiecks. Wir müssen
wie Blinde von der Farbe sprechen und sollten froh darüber sein,
dass das überhaupt geht, auch wenn es nur mehr schlecht als recht
gelingt. Wir sollten unsere Bilder niemals für das halten, was sie
abbilden wollen, denn das Vorstellungsmaterial, aus dem sie geformt werden,
ist tatsächlich himmelweit von dem entfernt, was mit ihm beschrieben
werden soll - eben so weit wie das Licht von der Finsternis bzw. der Wüstenstaub
vom Wasser. Unser Instrumentarium, auch wenn es noch so phantasievoll
religiös oder meditativ sensibilisiert sein mag, reicht grundsätzlich
nur bis an die uns vom Diesseits gesetzten Grenzen heran und eben nicht
darüber hinaus.
Das ist in der Bibel nicht anders. Auch sie spricht von
Gott in Bildern. Selbst wenn von Gott in größtmöglicher
Unanschaulichkeit etwa nur als "dem Namen" (haSchem) gesprochen
wird, lässt sich zwar die Vorsicht spüren, die Unvergleichlichkeit
Gottes möglichst unberührt zu lassen, aber zugleich wird deutlich,
dass auch die Unvergleichlichkeit eben nur mit dem Mittel des Vergleichs
benannt werden kann.
Anders als beim Namen Gottes ist den meisten biblischen
Bildern allerdings die mit ihnen verbundene Vorsicht nicht auf die Stirn
geschrieben. Gott wird als König, als Vater, als Fels, als Schild,
als Licht, aber eben auch als Mutter, als Henne oder Amme umschrieben.
Gott ist wie eine Burg, wie ein Löwe, wie ein Vogel - ein Adler -,
eine Quelle, ein Fluss, wie die Sonne. Gott ist der Befreier der Gefangenen,
der auch den Witwen zu ihrem Recht verhilft. In seiner Auflistung biblischer
Gottesbilder macht Jürgen Ebach darauf aufmerksam, dass sich die
Metaphorik auch ganz überraschender Bilder bedienen kann: Gott erscheint
etwa in der Schöpfungsgeschichte "wie ein Metallarbeiter, der
die Himmelsplatte wie eine Kupferschale herstellt und von diesem und anderen
Werken, wörtlich (Gen 2,2): von seiner Maloche, ausruht".
Wenig später sieht die Bibel Gott durch den Garten Eden einen Abendspaziergang
machen, oder er erscheint dem ahnungslos vor seinem Zelt hockenden Abraham
in der Gestalt von drei Männern, was diesen aber offenkundig nicht
daran hindert, ihn wahrzunehmen (Gen 18). Insbesondere in den neutestamentlichen
Gleichnissen finden sich noch ganz andere, keineswegs weniger überraschende
Gottesbilder: Da wird Gott mit einem verreisten Hausbesitzer verglichen,
mit einem ungerechten Richter, mit einem Geldverleiher, einem Sämann,
der blindlings seinen Samen auch unter die Dornen, auf den Weg und sogar
auf den Fels auswirft, mit einem rigorosen Unkrautausrupfer, mit einem
doch seltsamen Hirten, der für ein verlorenes Schaf all die anderen
allein lässt, mit einer glücklichen armen Frau, die ihren verlorenen
Groschen wieder findet. Oder er wird einem Weinbergbesitzer verglichen,
der alle seine Tagelöhner großzügig mit dem ganzen Lohn
bedenkt, obwohl manche von ihnen noch nicht einmal richtig mit ihrer Arbeit
begonnen hatten. Und dann dieser tragische und in seiner Großzügigkeit
unberechenbare König, dem bei seiner Hochzeitsfeier zunächst
die Gäste ausbleiben, der sich dann aber als befremdlich cholerisch
erweist, als er die wunschgemäß eilends von den Straßen
herbeigeschafften Verlegenheitsgäste inspiziert und jemanden unter
ihnen findet, der nicht angemessen gekleidet ist (Mt 22,1-14).
Alle diese biblischen Wort-Bilder Gottes kennen wir, und
es gibt gewiss noch viel mehr. Kann sich nun jede und jeder heraussuchen,
was sie oder er für richtig hält? Oder müssen wir uns nun
eingestehen, dass sich die nun heraufbeschworene Konfusion nicht recht
auflösen lässt? Kann uns in dieser Frage das Bilderverbot eine
Hilfestellung geben?
Zunächst sollten wir uns Rechenschaft ablegen über
den spezifischen Charakter der biblischen Wort-Bilder. Es ist angesichts
all der Bilder, die wir eben gehört haben, von vornherein problematisch,
wenn wir glaubten, in all den Wort-Bildern Gottes nun zu sehen zu bekommen,
wer oder was Gott ist. Damit stoßen wir auf ein fest im Auge zu
haltendes Problem: Die Bilder sind alle nicht am Sein Gottes bzw. weniger
philosophisch ausgedrückt: an Gott als einer eigenen Gestalt interessiert,
auch nicht in der Weise, als ließe sich das Wesen Gottes zwar nicht
einfach in einem Stück - so wie beim goldenen Stier -, aber eben
doch Facette für Facette beschreiben. Die nebeneinander gestellten
Bilder ergeben nicht wie ein Mosaik am Ende ein Ganzes. Wir kennen Gott
nicht an und für sich.
Oder ganz anders gesagt: Nach dem Zeugnis der Bibel ist
Gott nicht so eine Art Fort Fun oder gar Phantasialand,
dem sich je nach Bedarf ein vergnüglicher Besuch abstatten lässt;
er ist keine sich permanent bereithaltende Möglichkeit, die in ihrer
Ohnmacht durch die Kirchen für sich werben lässt. Vielmehr geht
es um eine immer bereits lebendige Wirklichkeit, die sich ereignet. Wir
wissen von Gott nicht, weil er existiert, sondern allein deshalb, weil
er zu uns in Beziehung steht - das ist ein großer Unterschied. Wir
kennen Gott nur als den, der an uns handelt und der sich in seiner Aktion
zu erkennen gibt. Und wir wissen von den Aktionen Gottes deshalb, weil
sie ihrem Wesen nach Interaktionen sind. All die biblischen Wort-Bilder
haben keine Seinswirklichkeit, sondern diese Beziehungswirklichkeit im
Blick, in die der Mensch in der Tat immer schon vereinnahmt ist, sobald
er von ihr Wind bekommt. Sie erzählen von den Beziehungsverhältnissen,
in denen sich Gott dem Menschen erwiesen hat, weil er sich in eben diesen
Beziehungsverhältnissen erweisen will. Sie sind grundsätzlich
keine Zustandsbeschreibungen, sondern Begegnungsorte bzw. Treffpunkte,
an denen sich etwas ereignet, das uns nicht als Zuschauer daneben stehen
lässt. Diese Gottesbilder wollen uns vor allem deshalb erreichen,
weil uns das Geschehen, auf das sie verweisen, bereits erreicht hat.
Natürlich niemals alles auf einmal, auch nicht einfach
der Reihe nach, und manches unter Umständen auch gar nicht. Das hängt
dann auch von unserem Leben ab, das ebenso vielfältig ist wie die
Wort-Bilder Gottes. Und so kommt uns Gott mal in diesem und mal in jenem
Bild entgegen, um uns für sich und seinen Weg und schließlich
auch für sein Ziel zu vereinnahmen - wohlgemerkt nicht pauschal,
nicht über einen Kamm, keine falsch terminierten Gleichheitsparolen,
sondern darin allen gleich, dass es jedem und jeder besonders gilt, weil
es tatsächlich alle meint. Das heißt gerade nicht: jedem das
Seine, sondern allen das Gleiche, was wegen all der Verschiedenheiten
eben nur geht, wenn es nicht immer dasselbe ist. Die biblischen Wort-Bilder
sind die Interaktionsbotschaften, auf die sich Gott ansprechen lassen
will, sobald wir erkannt haben, dass wir von ihm längst angesprochen
wurden.
3. Die Wahrheit des Bilderverbots
Worin besteht nun der Schutz, unter den unsere Bilder
durch das Bilderverbot gestellt werden?
Das Bilderverbot zieht erstens eine klare Grenze zwischen
den Wort-Bildern und den Bild-Bildern. Es ist den Wort-Bildern eigen,
dass zu ihnen vor allem der unbestimmte Artikel passt: Gott ist wie ein
Vater, eine Mutter, ein Hirte, ein Haushalter, eine arme Witwe oder ein
Weinbergbesitzer. Es ist eine unbestimmte, zumindest aber unterbestimmte
Bestimmtheit, die all diesen Wort-Bildern eignet. Bei den Bild-Bildern
aber ist es genau umgekehrt: Sie müssen sich - ob sie es wollen oder
nicht - für einen bestimmten Artikel entscheiden, und selbst, wenn
sie ausdrücklich nur irgendeinen Vater oder irgendeine Witwe abbilden
wollen, so können sie doch nur eben diesen einen und diese eine vor
Augen stellen, die dann eben faktisch der Vater und die Witwe sind.
Es war insbesondere Zwingli, der auf eine Macht der Bild-Bilder
verwies, der man sich nicht einfach entziehen könne. Er schätzte
die Verführungspotenz der die Gemeinde während der Gottesdienste
konstant anstarrenden Bilder und Standbilder so groß ein, dass er
von Götzen sprach, die zwar einerseits als Nichtse zu beurteilen
seien, die aber andererseits eben als solche unwillkürlich und permanent
zur Devotion, zur Verehrung aufforderten. Die Selbstlosigkeit, die von
den Bildern Gottes zu fordern ist, geht den Bild-Bildern grundsätzlich
ab. Sie präsentieren ihre Fixierungen in einer Penetranz, auf die
man immer wieder zurückgeworfen wird, wenn es heißt, über
sie hinaus zu gehen. Ihre Animation ist immer auch eine Gefangennahme,
die zwar erst im Bilderdienst öffentlich eingestanden, aber längst
vorher vollzogen wird.
Wenn es um Gott geht, kommen nur Bilder mit unbestimmtem
Artikel in Frage. Die Verleihung des bestimmten Artikels hat eine schwer
zu limitierende Ermächtigung der Bilder zur Folge, die sie für
den von ihnen zu leistenden Dienst untauglich macht. In diesem Sinne zieht
das Bilderverbot zwischen Wort-Bild und Bild-Bild eine Grenze, deren Überschreitung
die erstrebte Beziehung zu Gott bis zu ihrer Verstellung beeinträchtigt.
Doch auch im Umgang mit den Wort-Bildern bleibt das Bilderverbot
zu bedenken. Das Bilderverbot schützt - das ist ein zweiter Aspekt
- den Plural, die Vielzahl der Wort-Bilder. Damit schützt es das
Bild als Bild, das nicht mehr als ein Bild ist und auch nicht weniger,
eben ein Bild, das als solches im Blick auf Gott immer nur überaus
ausschnitthaft, unvollkommen und vorläufig bleibt. Jedes Bild bedarf
weiterer Bilder, bevor man im Bilde ist. Was uns für die arme Witwe
einleuchten mag, dass sie als Bild nicht allein für die ganze Fülle
Gottes stehen kann, ist schon keineswegs mehr so selbstverständlich,
wenn wir an den guten Hirten denken, der uns beschützt und jedem
verlorenen Schaf nachgeht. Immer wenn wir im Begriff sind, uns gleichsam
mit einem möglichst schönen Bild von Gott einzurichten, meldet
sich das Bilderverbot zu Worte: "Pass auf, dass aus dem Bild des
guten Hirten, in dem dir Gott begegnen kann, dass aus diesem Wort-Bild
Gottes nicht ein von dir selbst geschnitztes Standbild von Gott wird.
Du darfst dir das Bild vom guten Hirten nicht einfach nach Belieben ausmalen,
sondern du hast darauf zu achten, wie Gott selbst dieses Bild längst
ausgemalt hat, denn dieser gute Hirte ist nicht einfach dein guter Hirte,
sondern es ist ein guter Hirte, der wie die arme Witwe ist. Und eben nicht
nur das: Es ist der gute Hirte, der wie ein gerechter Richter, wie ein
Weinbergbesitzer und dieser merkwürdige Hochzeitsausrichter ist,
der übrigens kommen kann, wie der Dieb in der Nacht. Du sollst dir
kein Bildnis machen, sondern auf die Bilder achten, in denen Gott in eine
Beziehung zu dir getreten ist."
Um des heiligen Singulars Gottes willen schützt das
Bilderverbot den Plural der Wort-Bilder. Immer wenn wir uns auf ein Bild
genauer einlassen, werden wir feststellen, dass es mit den Farben all
der anderen biblischen Wort-Bilder Gottes gemalt ist und eben nicht einfach
mit den Lieblingsfarben, mit denen wir es gemalt hätten. Insofern
schützt das Bilderverbot nicht nur die Vielzahl, sondern eben auch
jedes einzelne Bild vor den Übertünchungen mit unseren Farben.
Es geht darum, dass sich uns Gott in den Bildern entdeckt, und nicht wir
uns für kompetent halten, Gott in den Bildern zu entdecken, die wir
für geeignet halten. Es geht um Bilder, die uns erreichen wollen,
und nicht um Bilder, mit denen wir etwas erreichen wollen. Auf diesen
Richtungssinn kommt es entscheidend an. Wenn das Bilderverbot den Plural
der biblischen Wort-Bilder schützt, dann wacht es auch über
den Richtungssinn der Bilder, der sich nicht einfach umkehren lässt.
Und zum Schluss noch eine dritte Grenzmarkierung: Das
Bilderverbot steht auch gegen den theologischen Bilderdienst. Auch da,
wo es überhaupt nicht um Bilder geht, kann es zu einem Konflikt mit
dem Bilderverbot kommen. Wenn wir das bisher Gesagte damit zusammenfassen,
dass es in dem Bilderverbot um die Wahrung der Souveränität
und Freiheit Gottes gegenüber unseren Fixierungen geht, dann müssen
wir unsere Aufmerksamkeit auch auf die Fixierungen richten, die sich selbst
nicht als Gottesbilder verstehen, die sich aber faktisch in ihrem expliziten
Bescheidwissen über Gott als Gottesbilder erweisen.
Die Rede von der Offenbarung Gottes oder seiner Menschwerdung
wäre gründlich missverstanden, wollten wir annehmen, dass sich
Gott damit selbst präsentiere. Eine Theologie, die meint, die Wahrheit
des Handelns Gottes in ihre Obhut nehmen zu können, gerät mit
dem Bilderverbot in Konflikt. Sie steht immer wieder in der Versuchung,
den aussichtslosen Versuch anzustrengen, das nahrhafte Manna des Evangeliums
in wohl portionierten Mengen einzutüten, um es ordentlich sortiert
einzufrieren, damit es sich dann im Bedarfsfalle schnell auftauen und
zum allseitigen Nutzen genießen lässt. Zwar will uns neuzeitliche
Menschen die grundlegende Erkenntnis der Reformatoren nicht so recht überzeugen,
dass wir uns ohne Gott in arger Bedrängnis bzw. gar in einem Gefängnis
befinden, aber für den Fall, dass wir einmal in Gefangenschaft geraten,
wollen wir doch auf die himmlische Arznei Gottes zugreifen können.
Deshalb all die Versuche, sie auch philosophisch haltbar und anthropologisch
attraktiv zu machen. Und so danken wir auch in den Kirchen - gleichsam
vorsorglich - einem Befreier, von dem wir zumindest teilweise hoffen,
dass wir ihn selbst nicht tatsächlich benötigen werden. Als
moderne selbstbewusste Menschen beanspruchen wir, einen Gott zu sehen
zu bekommen, der im Blick auf uns selbst noch unverrichteter Dinge dasteht,
so dass wir uns erst noch die Zeit nehmen können, uns unsere Bilder
auszumalen, worin er auch für uns wichtig werden könnte.
Gott tritt aber seinem Wesen nach nicht unverrichteter
Dinge in Erscheinung. Wo Gott unverrichteter Dinge in Erscheinung tritt,
kann es sich nur um eines der vom Bilderverbot verbotenen Gottesbilder
handeln, mit denen wir glauben, Gott den uns passenden Platz in unserem
Leben zuweisen zu können. Hatten wir eine Zeit lang vergessen, dass
Gott als der Gekommene immer auch noch der Kommende ist, so haben wir
heute bisweilen vergessen, dass der Erwartete bzw. Kommende eben der schon
Gekommene ist. Die Mühe, mit welcher sich gute Theologie um die rechten
Bilder Gottes bemüht, gilt der lebendigen Gegenwart Gottes. Wo diese
nicht im Blick ist, werden genau die Standbilder errichtet, vor denen
uns das Bilderverbot warnt. Wo es kein wirksames Es ist vollbracht!
(Joh 19,30) mehr gibt, wird sich die Hoffnung, dass er schließlich
alle Tränen abwischen wird (Jes 25,8; Apk 7,17; 21,4), als überaus
leichtfertig erweisen. Oder anders gewendet: Alle, die an eine Lehre von
Christus glauben und nicht an den gegenwärtig lebendigen Christus,
betreiben Idolatrie.
Die Wahrheit des Bilderverbots ist die Wahrheit, dass
wir die Wahrheit nicht haben, und jede und jeder, die oder der sich einbildet,
sie zu haben, befindet sich in einem flagranten Widerspruch zum Bilderverbot.
Was wir aber haben, ist eine Fülle von über sich hinausweisenden
Bildern, die uns das Geschehen der Wirklichkeit Gottes vor Augen führen
wollen, in dem wir uns immer bereits befinden. Wir bekommen immer auch
unser eigenes Bild vor Augen gestellt, welches wir niemals entdecken könnten,
wenn wir nur auf uns selbst schauten.
Und auch dieses gilt: Selbst in der großen Vielfalt
der Bilder ist dafür gesorgt, dass nicht einfach alles mit Gott in
Verbindung gebracht werden kann. Die Bibel bleibt in dem Punkt nun wirklich
nicht unklar, wo die Leidenschaften und die Abneigungen Gottes liegen.
Seine Geschichte hat eine klare Perspektive, die mit dem Reich Gottes
bezeichnet wird, und ist bestimmt von einer klaren wirklichkeitsverändernden
Praxis, die im Kreuz Christi ihren Höhepunkt erfahren hat, damit
uns über ihn und über uns selbst die Augen aufgehen und die
Herzen brennen mögen. Weil Gott keine Anstrengung gescheut hat, uns
deutlich zu machen, dass es nur Bilder Gottes gibt, in denen auch wir
bereits vorkommen, haben wir allen Grund, Gott nicht damit zu brüskieren,
dass wir immer wieder den Versuch anstellen, ihn auf sich selbst zu beschränken.
Das heißt: "Du sollst dir kein Bildnis machen!"
Vortrag auf dem 30. Deutschen Evangelischen Kirchentag
2005 in Hannover am 27. Mai in der Messehalle 17. Meine Überlegungen
greifen zurück auf M. Weinrich, Die Wahrheit des Bilderverbots. Historische
und theologische Aspekte, in: Von den Bildern befreit zum Leben. Wahrheit
und Weisheit des Bilderverbotes, hg. v. Jörg Schmidt (Reformierte
Akzente 6), Wuppertal (Foedus) 2002, 17-42 (dort auch Belege und weitere
Literaturangaben).
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