34 Jahre Leitung des Evangelischen Arbeitskreises Kirche und Israel in Hessen und Nassau
Ein Rückblick und der Versuch einer Bilanz
von Ulrich Schwemer

Teil I

Zuvor: Was mich anficht

"Im Frankfurter Stadtteil Rödelheim steht seit einigen Jahren ein Gedenkstein an der Stelle, an der einstmals die Synagoge der jüdischen Gemeinde von Rödelheim stand. Er erinnert an eine Vergangenheit, die bei den Rödelheimer Bürgern kaum noch gegenwärtig, aber im Bewusstsein jüdischer Menschen noch ganz lebendig ist. Viele Gebetbücher wurden in Rödelheim gedruckt, und Bücher mit dem Hinweis auf Rödelheim sind noch heute in Benutzung.

Doch diese kulturelle Bedeutung der Rödelheimer Juden wird denen kaum bewusst sein, die nun schon seit Monaten immer wieder den Gedenkstein beschmieren und nun sogar versuchten, ihn zu zerstören." 1

Hiermit habe ich im Jahre 1981 einen Artikel für die Kirchenzeitung "Weg und Wahrheit" unter der Überschrift "Solidarität mit den Juden - ein christlicher Auftrag" begonnen.

Mich macht betroffen, dass ich diesen Text, vielleicht jeweils mit einem anderen Ort, einer anderen Gedenkstätte oder auch einem anderen Friedhof auch hätte zwanzig oder dreißig Jahre früher schreiben können (wenn ich da nicht zu klein dazu gewesen wäre), genauso wie ich ihn hätte 25 Jahre später schreiben können.

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, danach zu fragen, was sich an Fragen und Themen im Zeitraum der 34 Jahre, die ich den "Evangelischen Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau" leitete, verändert hat.

Die Tatsache des latenten oder auch öffentlich ausgedrückten Antisemitismus aber hat sich nicht geändert. Nur kann man sich heute nicht mehr damit trösten, das seien die Ewiggestrigen, nein, auch junge Menschen lassen sich von dem Gift des Antisemitismus vergiften. "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch" - auch noch fünfzig Jahre nachdem Bertolt Brecht diesen Satz aufschrieb. 2

Persönliche Weichenstellungen

Erste Begegnung

Als ich als junger erstsemestriger Theologiestudent 1964 nach Israel kam, wurde ich recht bald zu einer religiösen jungen Familie zum Erev-Schabat-Essen eingeladen. Damals war keine einzige Einladung selbstverständlich . Der Familienvater war schon 1933 aus Hamburg nach Palästina ausgewandert. Die Mutter hatte das "3. Reich" in Breslau, teilweise versteckt, überlebt und verdankte diesen Umstand wohl der Tatsache, dass ihre zum Judentum übergetretene Mutter nach den Rassegesetzen arisch war.3 Ich arbeitete in der gleichen Siedlung, in der diese Familie am Rande von Naharija wohnte, in einer nicht religiösen Familie mit einem schwer erziehbaren Jungen.

Ich besuchte also diese Familie an einem Freitagabend, der Vater kam aus der Synagoge zurück, segnete seine beiden noch kleinen Söhne (die ihn dabei immer neckend in den Bauch boxten) und wir versammelten uns am Abendessentisch, der feierlich gedeckt war. An herausgehobener Stelle war der Platz besonders schön gedeckt, es stand dort ein Kidduschbecher, und verdeckt unter einem Schabattuch lagen zwei geflochtene Weißbrote, Chalot.

Wir standen um den Tisch, der Familienvater nahm den Weinbecher, sprach einen Segen über dem Wein und jeder trank aus seinem eigenen Becher. Bei späteren Gelegenheiten, wenn mehr Leute als vorhandene Becher anwesend waren, trank die Familie aus einem Becher und alle anderen hatten ihren eigenen.

Anschließend wurde das Brot aufgedeckt und der Familienvater brach so viele Stücke vom Brot ab, wie Personen am Essen teilnahmen, salzte es, segnete es und gab es in die Tischrunde, jeder nahm sich ein Stück. Das ganze war keine sehr lange Zeremonie.

Und ich nahm daran teil, erkannte die Elemente wieder, die auch wir beim Abendmahl verwenden und war irritiert, verwirrt, elektrisiert, auch verunsichert. Wo kam diese Ähnlichkeit her? Warum wird zuerst Wein und dann Brot genommen? Was sind das für Segenssprüche? Was hat das Eine mit dem Anderen zu tun? Fragen, auf die ich damals keine Antwort fand, die mich aber auch nicht mehr losgelassen haben.

Von diesem Augenblick an wusste ich, da gibt es mehr Querverbindungen zwischen Judentum und Christentum, als ich es in meiner Gemeindefrömmigkeit für möglich gehalten habe und als mir in dem folgenden Theologiestudium vermittelt worden ist. Erst im Pfarramt konnte ich anlässlich einer Fortbildung in Israel diesen Fragen konsequent nachgehen, und eine für mich akzeptable Antwort finden. Natürlich reichte diese Antwort dann viel tiefer in den gesamten liturgischen Bereich hinein.

Entscheidend war der Weg vom verwirrten Wahrnehmen und der Sorge, hier könnte ein christlicher Brauch grundsätzlich in Frage gestellt werden, hin zu der Erkenntnis, dass ich erst mein eigenes Christentum recht erkennen kann, wenn ich seine Einbindung in das Judentum erkenne.

Erste Schritte

Mit der Übernahme der Leitung des Arbeitskreises im Herbst 1972 wurde das, was während des Studiums irgendwo im Verborgenen geblieben war und während des weiteren, einjährigen Aufenthaltes in Israel 1971/72 von anderen, eher politischen Fragen verdrängt wurde, nun wieder lebendig. Allerdings setzte ich nicht gleich bei diesen Fragen an, vielmehr galt es zunächst einmal Abschied zu nehmen von Positionen, die während des Theologiestudiums noch von Professoren wie Herbert Braun und Ernst Fuchs vertreten wurden. Da lernte man noch als eine Art Lesehilfe für das NT, dass man bei der Suche nach dem ursprünglichen Jesus ihm dann am nächsten komme, wenn man danach frage, was von seinem Reden und Handeln am wenigsten mit dem Judentum vereinbar ist. Jesus ist dann der, der alles neu und anders macht und eigentlich schon nicht mehr im Judentum wurzelt.

Im christlich-jüdischen Gespräch lernte ich nun, dass genau andersherum eine Antwort zu finden ist. Jesus war kein Revolutionär, der etwas völlig Neues neben das Judentum stellen wollte. Vielmehr wurzelte seine Verkündigung im Judentum. Und so wurde nicht mehr nach dem Unjüdischen bei Jesus gesucht, sondern nach dem Juden Jesus, den Martin Buber (und in seiner Folge Schalom Ben Chorin) Bruder Jesus nennen konnte.

Diese Suche war sehr erhellend und erleichterte an vielen Stellen das Verständnis des Neuen Testamentes, ob es um die Darbringung im Tempel ging oder den zwölfjährigen Jesus im Tempel, ob es um die Antithesen der Bergpredigt ging oder um das Ährenraufen am Schabat. Plötzlich war das Leben Jesu eingebettet in seine jüdische Umwelt und aus ihr weitaus leichter zu deuten, als wenn man Jesus um jeden Preis in Gegensatz zu seinem Judentum bringen wollte.

An dieser Stelle entstand dann aber die Frage, was Jesus dann überhaupt noch für den Glauben bedeutete. Joseph Klausner (1874-1958) hat in seinem wegweisenden Werk "Jesus von Nazareth - Seine Zeit, sein leben und seine Lehre" (1930) das Kapitel "Die Kreuzigung" mit dem eindrücklichen Satz beendet: "Hier schließt die Lebensgeschichte Jesu, und es beginnt die Geschichte des Christentums"4.

Wie haben wir uns zu diesem Juden Jesus zu stellen, der vielleicht sein Judentum reformieren wollte, der sich vielleicht für den Messias gehalten hat und aus dessen Wirken eine Kirche hervorgegangen ist, die nie ihre Verantwortung für sein jüdisches Volk übernommen hat? Die Versuchung war groß und mancher wird ihr erlegen sein, Abschied zu nehmen von einem kirchlich und theologisch überladenen Jesus Christus und sich damit zu begnügen, in der Nachfolge dieses Juden Jesus zu stehen, der immerhin die Heiden mit in den Bund Gottes mit Israel gerufen hat, oder wenn nicht er es war, dann der Jude Paulus.

Die Rolle Jesu hierauf zu beschränken, würde auch die im christlich-jüdischen Dialog nicht so einfache Frage nach der Christologie und nach der Trinitätslehre entschärfen. Denn von jüdischer Seite werden Christen immer wieder gefragt, ob sie nicht den Monotheismus mit den drei Personen Vater, Sohn und Heiliger Geist in Frage stellen und auflösen. Und obwohl ich selber ein ganze Weile diese Lösung bevorzugte, muss ich doch sagen, dass wir es uns so einfach nicht machen können. Denn wenn wir Jesus auf die Rolle eines Reformers innerhalb des Judentums beschränken und ihn vielleicht auch noch als einen Messias sehen, der aber angesichts der Wirklichkeit, die dagegen spricht, vom Judentum nicht anerkannt wird, bliebe die Frage, welche Kirche er eigentlich gegründet hat und ob man dann nicht besser im Judentum beheimatet wäre.

Doch eine Antwort wurde an dieser Stelle nicht so schnell gegeben. Zunächst einmal galt es, die Erkenntnis zu sichern, wie sehr der christliche Glaube, wie sehr Jesus, wie sehr auch Paulus im Judentum beheimatet sind. In dieser Zeit erschienen Bücher wie Rosemary Ruether, Nächstenliebe und Brudermord - die theologischen Wurzeln des Antisemitismus oder Krister Stendahl, Der Jude Paulus und wir Heiden - Anfragen an das abendländische Christentum5. Ruether fragte nach der antijüdischen Tradition durch die Kirchengeschichte und bezeichnet hierbei die Christologie als Schlüsselfrage. Damit entfachte sie einen ziemlichen Sturm. Stendahl zeigte, dass es nicht reicht, das Judesein Jesu zu erkennen, sondern dass auch das Judesein des Paulus mit in die Paulusdeutung einzubeziehen sei.

Die Systematische Theologie musste erst noch diesen neuen Denkansätzen folgen, tat dies aber erst in den Jahren danach.

Im Zusammenhang der Erkenntnis des Judeseins Jesu wurde dann natürlich auch die Frage nach dem Judentum überhaupt bedeutsam. Tatsächlich wissen Christen herzlich schlecht über das Judentum Bescheid. Die Gründe hierfür liegen nicht nur im Holocaust, der es heute schwer macht, überhaupt Juden kennen zu lernen. Auch schon vor dem Holocaust haben die Christen nur wenig Ahnung vom Judentum und seinen Bräuchen gehabt, da es eine echte Begegnung so gut wie nicht gab. Der Dialog fing an, als er gleich schon wieder gewaltsam unterbunden werden sollte: Dass es wenige Tage bevor das "3. Reich" über Deutschland und Europa kam, am 14. Januar 1933 im Jüdischen Lehrhaus in Stuttgart zu einem Dialog zwischen Martin Buber und Karl-Ludwig Schmidt kam, war eine Ausnahme.

Der Pietismus hatte zwar Interesse am AT und dem Judentum, sah die Juden aber vor allem doch als Missionsobjekte.

Deshalb war es zunächst notwendig, Informationen über das Judentum anzubieten. Und erfreulicher Weise waren viele Jüdinnen und Juden bereit, sich hierfür zur Verfügung zu stellen. Thematisch gehörten hierzu nicht nur Informationen zu jüdischer Liturgie, zu Talmud und Midrasch, zu synagogaler Musik, sondern auch Informationen über Jesus, den Juden.

Diese Informationen konnten ganz unterschiedlich gehört werden. Die Einen wurden zu richtigen Sachkennern des Judentums, betrachteten dieses aber isoliert, ohne dass es eine Anfrage an ihre christliche Identität stellte. Andere wiederum versuchten die Erkenntnisse über das Judentum auch mit ihrer eigenen christlichen Existenz zu verbinden. Dann war danach zu fragen, ob die Informationen, die man über das Judentum bekam, auch einen Einfluss auf das eigene Selbstverständnis oder die eigene Verkündigung hätten.

Da ich die Leitungsarbeit des Ev. Arbeitskreises Kirche und Israel immer parallel zur Gemeindearbeit betrieben habe, war es unvermeidlich, die eigene Verkündigung an dem Gelernten zu messen. Nun waren die Klischees eben nicht mehr möglich, die das Christentum über Jahrhunderte geprägt hatten, nun erkannte man den Gott der Gnade auch im AT und im Judentum und den rächenden und strafenden Gott auch im NT, nun wurde einem bewusst, dass das Gebot der Nächstenliebe keine Neuentdeckung Jesu und damit eine spezifisch christliche Botschaft ist, sondern dass Jesus hier auf das AT (Lev 19,18) zurückgreift.

"Was Christum treibet"? - Exegese im christlich-jüdischen Dialog

Die Auslegung des Alten Testaments stand in der Ev. Kirche lange unter dem Lutherwort, man müsse es lesen unter dem Gesichtspunkt, "was Christum treibet". Im September 2005 führte der Arbeitskreis gemeinsam mit der Ev. Akademie Arnoldshain einen Studientag unter dem Thema "'Was Christum treibet' (Luther) - ein Deutungsmuster für alttestamentliche Texte?" durch. Aus dem christlich-jüdischen Dialog kommend kann man alttestamentliche Texte nicht ungebrochen christologisch deuten. Schon im Jahr 1974 hatten wir gemeinsam mit der Ev. Akademie Arnoldshain eine Tagung zu Jes 52/53 durchgeführt. Den Teilnehmer/innen wurden Predigttexte unter anderem von Bischof Hermann Dietzfelbinger vorgelegt, in denen über Jes 52/53 ohne jeden Bezug auf Israel gepredigt werden konnte. Am Karfreitag, an dem dieses einer der Predigttexte ist, wurde der Leidende Gottesknecht ohne jede Scheu auf Jesus, und nur auf Jesus hin gedeutet.

Diese Auslegung ist in christlich-jüdischer Perspektive nicht möglich, selbst wenn der Text gerade wegen der christlichen Vereinnahmung in den jüdischen liturgischen Lesungen nicht vorkommt. Dass er ein Deutungsmuster für das Leben und Sterben Jesu sein kann und deshalb auch von der Kirche verwendet wird, steht außer Zweifel und kann auch verkündigt werden. Aber es ist ein Unterschied, ob ein alttestamentlicher Text ein Deutungsmuster ist oder ob bei den Hörerinnen und Hörern der Eindruck entsteht, der Prophet Deuterojesaja habe hier bereits Jesus Christus mit seiner Prophezeiung gemeint.

Genau an dieser Stelle entscheidet sich aber der rechte Umgang mit alttestamentlichen Texten: Sie müssen in ihrer ursprünglichen Aussage ernst genommen werden. Dann können sie auch zur Deutung des Jesusgeschehens herangezogen werden. Nichts anderes haben die Jünger gemacht, als sie nach Kreuzigung und Tod Jesu in ihrer Bibel, dem Alten Testament, die Deutungsmuster fanden, die ihnen den Glauben an die Auferstehung ermöglichten.6

Und nichts anderes macht auch Matthäus, dessen Geburtsgeschichte Jesu ohne die alttestamentlichen Zitate überhaupt nicht zu verstehen ist. Umso schlimmer ist es allerdings, dass in der Verkündigung gerade an Weihnachten genau dieser Zusammenhang zwischen alttestamentlichen Zitaten und der Geburtsgeschichte oft nicht beachtet wird. So wird dann der Kindermord von Bethlehem unversehens zu einem historischen Ereignis (mit den antijüdischen Konnotationen), anstatt dass hier deutlich wird, dass Matthäus die Geschichte Jesu genau einpasst in die Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk Israel. Hier steht der Kindermord in Bethlehem nämlich in Parallele zum Mord an den Söhnen Israels durch die Ägypter.

Als Deutungsmuster wird diese Verwendung des Alten Testamentes biblisch in der Geschichte von den Emmausjüngern gut vorgeformt. Der nicht erkannte Auferstandene deutet den beiden Jüngern die Ereignisse aus der Schrift. Und sogar die Passionsgeschichten finden ihre Deutung über weite Teile in der Bibel Jesu, dem Alten Testament (Lk 24, 13-35).

Theologie nach dem Holocaust

Zwei Erlebnisse vorweg:

1. Schon 1964 begegnete ich bei meinem ersten Israelbesuch der Frage, wie ich mich der deutschen Geschichte zu stellen habe. Damals galt es aber weniger, Ereignisse der Vergangenheit bewusst zu halten, vielmehr begegnete ich damals Menschen, die den Holocaust, den man damals noch nicht so nannte, überlebt hatten. Es waren sozusagen hautnahe Begegnungen, die auch ganz anders als in späteren Jahren verliefen, zumeist Zufallsbegegnungen beim Trampen oder Reisen. Und diese Begegnungen reichten von schroffer Ablehnung über distanziertes Sprechen und spätes Hinweisen auf die eintätowierte Nummer am Arm bis hin zu ganz freundlicher Aufnahme, z.T. zu Kontakten, die noch bis heute bestehen. Einen Bezug zu Glauben und Theologie stellte ich aber nicht her.

2. In den siebziger Jahren war die Debatte um das rechte Gedenken nach Auschwitz und die Konsequenzen für die Theologie in vollem Gang. Der Begriff "Holocaust" wurde von Amerika aus eingeführt, blieb aber weitgehend ein Insiderbegriff. Dann wurde der 4teilige Film "Holocaust" angekündigt. In Insiderkreisen wurde ausgeschlossen, dass ein Spielfilm das Grauen des Holocaust angemessen wiedergeben könne. Die ersten beiden Folgen sah ich im Rahmen der zweiten Delegiertenversammlung der Konferenz Landeskirchlicher Arbeitskreise Christen und Juden - KLAK. Wir erfuhren eine merkwürdige Verwandlung. Waren wir alle im Vorhinein eigentlich der Meinung, dass das ganze nur ein Hollywood-Schinken sein könne, wurden wir dann von der Darstellung der Ereignisse am Beispiel einer Familie in Bann gezogen. Die verbleibenden Teile sah ich zu Hause. Ich war sehr ergriffen, erschüttert. Am folgenden Sonntag war als Predigtext vorgeschrieben: die Sturmstillung. Nach der aufwühlenden Woche sah ich mich außer Stande, diese Botschaft "Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?" (Mt 8, 26) weiterzugeben. Ich predigte den Text dennoch, aber ich predigte gegen ihn: Ich beendete die Predigt mit dem Text von Zwi Kolitz , "Jossel Rackower redet mit Gott" (Originaltitel in jiddisch: Josl Rakovers Vndung tsu Got"), in dem die Geschichte eines Rabbiners erzählt wird, der während der Inquisition aus Spanien mit seiner Familie flieht und in einem Gewittersturm durch einen Blitzschlag seine Frau verliert und dessen Kind vom Sturm über Bord gespült wird. Er selbst wird auf eine steinige Insel verschlagen. Zu Gott spricht er: "Magst Du mich auch beleidigen, magst Du mich auch schlagen, magst Du mir auch wegnehmen das Teuerste und Beste, das ich hab' auf der Welt, magst Du mich zu Tode peinigen - ich werde immer an Dich glauben. Ich werde Dich immer lieb haben, immer, Dich, Dich allein, Dir zum Trotz!"7

Für meinen Umgang mit dem Gedenken und dem Erinnern an die Nazizeit und den Konsequenzen für den Glauben waren dieser Film, dieser Text und meine Predigt ein Schlüsselerlebnis.

Vor vielen Jahren hat Johann Baptist Metz formuliert: "Mein handliches, scheinbar einfaches, aber eigentlich viel zu anspruchsvolles Kriterium - wie ich inzwischen längst weiß - ist, dass ich den jungen Leuten immer wieder sage: ‚Fragt euch, wenn euch da eine neue Theologie begegnet, fragt euch: Ist das eine Theologie, die man vor und nach Auschwitz gleich treiben könnte?' Und wenn ja, dann lasst sie, mit welchem Namen sie auch immer verbunden sein mag, dann lasst sie liegen!"8, Wenn also gefordert wird, dass die Theologie nach Auschwitz eine andere sein muss als vor Auschwitz, dann sagt dies vor allem: die Theologie vor Auschwitz kann sich nicht freisprechen von einer Mitschuld am Holocaust. Angesichts von Zwangsdisputationen, Ritualmordvorwürfen und Vorwürfen von Hostienschändung ist der Zusammenhang ziemlich deutlich. Wenn man dann noch den Antisemitismus des Hofpredigers Adolf Stoecker (1835-1909), sind es eben nicht nur mittelalterliche Vorkommnisse (die übrigens auch bis in die Neuzeit reichten), sondern es ist auch eine Theologie nach der Aufklärung, die sich hinterfragen lassen muss.

Angesichts dieses Befundes ist der Tatbestand mehr als befremdlich, dass gegen diese Forderung immer wieder der Einwand erhoben wird, hier werde Auschwitz zu einem Offenbarungsereignis hochstilisiert. Hier wird verkannt, dass es bei einer Theologie nach Auschwitz nicht um die Korrektur von Offenbarungsereignissen geht, sondern um die Korrektur von zeitbedingten Fehlentwicklungen der Theologie und des christlichen Glaubens.

Gerade eine Kirche wie die Ev. Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat als Nachfolgekirche der deutsch-christlichen (DC) Ev. Landeskirche Nassau-Hessen (EKNH) allen Grund, ihre theologischen Positionen nach dem Holocaust zu hinterfragen.

Und wenn sich christlicher Glaube als ein Glaube in dieser Welt und dieser Geschichte manifestiert, dann wird er sich immer auch an der Geschichte und der Verantwortung der Christen in ihr messen lassen müssen.

Bereits 1978 hat der Ev. Arbeitskreis Kirche und Israel in einem Gottesdienstheft zum 10. Sonntag nach Trinitatis einen Text "Christliche Theologie nach dem Holocaust" von Ulrike Berger9 abgedruckt. Sie sieht als dringlichste Aufgabe, sich theologisch der Tatsache zu stellen, dass im Holocaust die Theodizeefrage gestellt wird. Sie zitiert Richard L. Rubinstein, der in seinem Buch "After Auschwitz" nur noch das Schweigen aller menschlichen Möglichkeiten angesichts des Todes Gottes sieht, wohingegen Robert R. Geis in dem Buch "Gottes Minorität" die Forderung nach einem gemeinsamen Kampf von Christen und Juden um das Königtum Gottes auf Erden erhebt.

Auch Elie Wiesel spricht vom Tod Gottes in dem Buch "Die Nacht", in dem er von dem kleinen Jungen erzählt, der gehenkt wird, aber zu leicht ist, um von dem Strick erdrosselt zu werden. In der Reihe der KZ-Insassen, die an dem Galgen vorbeiziehen müssen, fragt einer: Wo ist Gott? und erhält die Antwort: "Wo er ist? Dort - dort hängt er am Galgen".10

Dass diese Geschichte nicht spurlos am christlichen Glauben vorüber gehen kann, wurde nicht nur in der exegetischen Arbeit erkannt, sondern, wenn auch leider noch nicht verbreitet anerkannt, in der systematischen Theologie. So ist der Ansatz von Friedrich-Wilhelm Marquardt in seiner noch kurz vor seinem Tod fertiggestellten Systematik von der Frage durchdrungen, wie überhaupt Theologie nach Auschwitz möglich sei. Es überrascht dann allerdings, dass er ausgerechnet in seiner Christologie diesen Bezug nicht herstellt. Er tut dies, so Barbara U. Meyer in ihrem Buch "Im Schatten der Shoah - Im Lichte Israels"11, sehr bewusst, um auch nur im Entferntesten den Eindruck zu vermeiden, er könne womöglich nachträglich Auschwitz theologisch einen Sinn verleihen (wie z.B. Moltmann, der der Versuchung erlegen ist, die oben erwähnte Geschichte des Knaben am Galgen auf das Leiden Christi zu deuten).

Eine andere Entscheidung fällte Johann Baptist Metz, der die Christologie in ihrer durch die hellenistische Philosophie geprägten Soteriologie zwar als "sündenempfindlich" bezeichnet, sie also zu schnell nach der Vergebung für die Täter fragen lässt. Er vermisst aber die Leidempfindlichkeit der Christologie, die sich mit der Theodizeefrage verknüpft. "Das aber lähmte die elementare Empfindlichkeit für das fremde Leid und verdüsterte die biblische Vision von der großen Gottesgerechtigkeit."12

Es mag sein, dass die Frage in der nächsten Generation schon wieder etwas anders gestellt werden wird, dass vor allem theologische Schlussfolgerungen aus dem Erschrecken über den Holocaust noch einmal überdacht werden. Aber alle zukünftigen Generationen werden sich grundsätzlich der Frage stellen müssen, welche Rolle das Christentum gespielt hat und welche Konsequenzen daraus für den christlichen Glauben zu ziehen sind. Denn es geht hierbei auch um die Zukunft: nämlich das Christentum dafür zu wappnen, in ähnlichen Situationen verantwortlich zu handeln und nicht wieder zu versagen.

Mit einer arroganten Glaubensgewissheit allerdings wird das Christentum offenen Auges auch in die nächste Katastrophe rennen.

"Wir dürfen ihnen doch das Beste nicht vorenthalten."
Mission oder Dialog

Eine andere Debatte vergiftete lange Zeit das Klima zwischen denen, die eigentlich die gemeinsame Sorge um ein rechtes Verhältnis zum Judentum verband. Es ging um die Frage der Mission. Tatsächlich waren die ersten Gruppen, die sich um eine Erneuerung im Verhältnis zum Judentum kümmerten, aus Missionsgesellschaften hervorgegangen. Auch der Ev. Arbeitskreis Kirche und Israel war in seinen Anfangsjahren judenmissionarisch ausgerichtet, ohne aktiv Judenmission zu betreiben. Je mehr aber die Debatte sich verallgemeinerte und vor allem jüdische Gesprächspartner/innen hinzukamen, wurde die Forderung lauter, auf eine Mission an Juden zu verzichten.

Dies bedurfte allerdings einer neuen theologischen Ausrichtung. Gab es eine Möglichkeit, theologisch begründet auf Judenmission zu verzichten? Der Arbeitskreis vertritt in diesem Sinne, ausgehend von der bleibenden Erwählung der Juden und dem weiterhin bestehenden Bund Gottes mit Israel, die Überzeugung, dass es keine theologische Begründung einer Mission an Juden gibt.

Wer theologisch nicht so weit gehen will oder kann, sollte aber wenigstens aufgrund der deutschen Unheilsgeschichte gegenüber den Juden auf jede Art von Mission an Juden verzichten. Wie verlogen müssen die Heilsversprechungen, die Christen Juden machen, angesichts des gigantischen Versagens der Christenheit in der Zeit des Holocaust klingen.

Der Konflikt zwischen "Mission" und "Dialog" entbehrte nicht einer gewissen Blindheit. Gerade die kirchlichen Gruppierungen, die den Namen Mission noch trugen, suchten und fanden in einem schwierigen Diskussionsprozess Formulierungen, die an die Stelle von Mission das eigene "Zeugnis" stellten oder später den Begriff "Begegnung".

Sie ihrerseits fragten die Vertreter des "Dialogs", wie sie es mit der eigenen Identität des christlichen Glaubens hielten. Der Verdacht wurde geäußert, dass man um der Nähe zum Judentum willen auf essenzielle Glaubenssätze des Christentums verzichten würde. Hier benannten die Kritiker sicher ein schwerwiegendes Problem des Dialogs. Zumindest gab es die Versuchung z.B. im Bereich der Christologie, auf christliche Lehrsätze zu verzichten, da es ja doch vor allem um Jesus den Juden gehe. Man meinte, damit die Einheit Gottes eindeutiger ausdrücken zu können. Allerdings musste mit Recht gefragt werden, welchen Grund es dann für die Existenz der Kirche gäbe, wenn Jesus zwar ein frommer Jude gewesen war, aber sein Wirken keine Offenbarungsqualität hatte.

Dass diese beiden Richtungen zueinander gefunden haben (zumindest in weiten Bereichen), ist gut, denn sie haben ein gemeinsames Gegenüber: all die Christen nämlich, die glauben, mit dem Christentum sei das Volk Israel abgetan und überholt. Diese Überzeugung gibt es trotz aller Erklärungen und Grundartikelerweiterungen nach wie vor in unseren Kirchen.

Heute taucht das Problem der Judenmission aber wieder aus einer ganz anderen Perspektive auf. Nach der Einwanderung vieler Jüdinnen und Juden aus Russland, von denen viele desorientiert sind, entdecken zunehmend evangelikale Gruppierungen hier ein neues Betätigungsfeld. Jüdische Gemeinden schlagen bereits Alarm und bitten die Kirchen um Hilfe. Es ist an der Kirche, dieser Proselytenmacherei in einer Phase der Desorientierung einen Riegel vorzuschieben.

In den Gruppen, die über viele Jahre hin miteinander im Dialog standen, das gilt vor allem für die "AG Juden und Christen beim DEKT", kam irgendwann einmal die Frage auf, was der Inhalt des Dialogs eigentlich sein müsse, nachdem man zunächst die Phase des Kennenlernens des Judentums hinter sich gelassen und erkannt hatte, dass bestimmte Glaubenssätze auch in Zukunft unvereinbar bleiben würden, wie z.B. die Messianität Jesu.

Hier wurde vor allem von christlicher Seite der Wunsch laut, aufgrund der gemeinsamen Bibel Alten Testaments nach dem zu fragen, was Juden und Christen an ethischer Verantwortung in der Welt gemeinsam wahrnehmen können. Dazu gehörten Fragen nach der Verantwortung für die Schöpfung, Friedensfragen, aber auch Fragen nach dem Umgang mit Tod und Sterben bis hin zu den Fragen nach Sterbehilfe und Organtransplantation.

Das wurde allerdings nicht von allen Gesprächspartnern so gesehen. Die vor einigen Jahren verstorbene jüdische Gesprächspartnerin Dr. Pnina Nave-Levinson beispielsweise sagte während einer Tagung der "AG Juden und Christen beim DEKT": Ich führe den Dialog, um eine Wiederholung des Holocaust zu verhindern. Und ganz gewiss hatte sie Recht, dass dies eine vorrangige Aufgabe des Dialogs ist. Wenn allerdings der Dialog sich darauf beschränkt, können Christen in diesem Dialog immer nur die Hörenden sein, ohne selber gestaltend mitzuwirken.

Israel - Land der Verheißung

Wenn ich behaupten würde, ich wäre nach meinem ersten Israelaufenthalt 1964/65 in irgendeiner Weise israelkritisch gewesen, würde ich nicht die Wahrheit sagen. Ich habe in den sieben Monaten meines Aufenthaltes noch etwas von der Pionierstimmung mitbekommen, die angesichts der atemberaubenden Grenzen Israels mit seiner Wespentaille bei Nethanja nicht nach Recht und Unrecht während des Unabhängigkeitskrieges fragte. Noch war man einfach begeistert, dass dieser junge Staat sich gegen eine arabische Übermacht hatte behaupten können und überhaupt existiert. Zerstörte arabische Dörfer südlich von Naharija, nördlich von Naharija und an vielen anderen Stellen brachten mich nicht wirklich zu der Frage, was eigentlich mit den Menschen geschehen ist, die dort gelebt hatten. Namen wie Deir Jassin, wo im April 1948 über 100 Personen ermordet wurden, oder Kfar Kassem, wo im Oktober 1956 48 arabische Menschen durch die israelische Grenzpolizei getötet wurden, waren mir zu dem Zeitpunkt nicht geläufig. Erst viel später sollte mir diese problematische Seite der Existenz Israels deutlich werden, auch wenn diesen Vorfällen andere entsprachen, in denen jüdische Menschen von Arabern umgebracht wurden, wie. z.B. in Gusch Etzion.

Doch auch dann blieb es und bleibt es bis heute dabei: Dieser Staat hat ein Recht auf Existenz an diesem Ort. Nicht Uganda, nicht Madagaskar, nicht Kanada oder welche Orte als mögliche Plätze für einen jüdischen Staat auch sonst noch genannt worden sein mögen, nur dieser von Wüsten umgebene und seit Jahrtausenden umkämpfte Landstrich konnte es tatsächlich sein. An keinem anderen Ort der Erde hätte wohl die Kraft gereicht, um diesen Staat zu gründen, denn kein Ort ist mit der Verheißungsgeschichte verknüpft, die Israel an dieses Land am Mittelmeer bindet.

Und wenn die Liste der Orte, an denen Israel versagt hat, Unrecht getan hat, Schuld auf sich geladen hat, inzwischen noch um einige Plätze länger geworden ist, ist nicht zu bezweifeln, dass die Landverheißungen eng auch mit der Gründung des neuen Staates Israel verknüpft sind, obwohl der Staat in seinen Anfängen noch viel säkularer war, als er es heute ist.

Doch mit der Verheißung ist's wie mit der Erwählung, sie ist immer auch Verpflichtung. Der Talmud hat sich darüber Gedanken gemacht, die allerdings nicht notwendig auf einen Staat zulaufen. Wichtig ist das Leben im Land der Verheißung, nicht die politische Struktur. In bT baba batra 91a geht es um Wirtschaftsfragen: "Man darf nur dann aus dem Israellande nach dem Ausland ziehen, wenn zwei Sea Getreide einen Sela kosten (also unerschwinglich sind). Rabbi Simon sagte aber: Nur dann, wenn man nichts zu kaufen findet, wenn man aber noch etwas zu kaufen findet, so darf man nicht fortziehen, selbst wenn eine Sea einen Sela kostet"13. Auch die Frage, wie viel Land man benötige, um der Heilsbedeutung des verheißenen Landes sicher zu sein, wird auf ein Minimum beschränkt, auf wenige Ellen und schließlich reichte es auch, nur dort begraben zu sein.

In diesen Gedanken wird sowohl die ungeheure Bedeutung des Landes hervorgehoben, als auch deutlich gesagt, dass es hier nicht um irgendwelche Grenzen geht, die unbedingt erreicht werden müssen. An dieser Stelle können die talmudischen Diskussionen in der aktuellen Debatte helfen. Die religiöse Friedensbewegung hat sich im Blick auf die besetzten Gebiete auch darauf berufen, dass der Gesichtspunkt "verheißenes Land" nicht notwendig Groß-Israel meint. Abzuwägen seien das Recht auf das Gelobte Land und das Recht der Menschen, die in dem Land leben.

So ist die Landverheißung eine wichtige Triebfeder für die Errichtung des jüdischen Staates gewesen, zugleich aber setzt sie auch eindeutige Grenzen in der Debatte um Grenzen und Gebiete. Und wenn wir auch immer wieder betonen, dass der Staat Israel ein Staat wie jeder andere ist, bleibt diese Besonderheit doch mit seiner Gründung und seiner Existenz verbunden.

Schritte in die Zukunft

Mit aller Vorsicht kann man vielleicht sagen: Der christlich-jüdische Dialog ist an einem Punkt angekommen, an dem es in der christlichen Theologie möglich und nötig ist, grundsätzliche Aussagen der christlichen Lehre neu auszurichten.

Barbara Meyer hat in ihrem oben bereits erwähnten Buch "Christologie im Schatten der Shoah - im Lichte Israels" eindrücklich herausgearbeitet, wie neue theologische Ansätze möglich sind, wenn die historischen Ereignisse ernst genommen werden und theologisch gedeutet werden. Bei den zwei analysierten Theologen sind es die Shoah und die Gründung des Staates Israel, ohne dass diese historischen Ereignisse als Offenbarungsquelle dienen. Denn im Blick auf die Shoah würde so der Massenmord an Juden noch eine theologische Überhöhung erfahren. Diese Ereignisse lösen aber ein neues theologisches Nachdenken aus. Bei den beiden genannten Theologen geschah dies vor allem im Blick auf die Christologie, Gleiches gilt aber auch für die Trinitätslehre, wo das Nachdenken erst am Anfang steht.

Im Schatten der Shoah werden die christlichen Positionen selber als mit dunklen Flecken behaftet deutlich. Wenn auch das Wort von Peter v. d. Osten-Sacken vom "christologischen Besitzverzicht"14 heftig diskutiert wurde, geht es doch darum, von einer triumphalistischen Christologie weg zu einer mitfühlenden Christologie zu kommen, die die Offenbarung Gottes in Christus als die Offenbarung des einen und einzigen Gottes versteht, der seinem Volk Israel treu bleibt in Bund und Erwählung. "Jede der Sache angemessene christologische Aussage wird deutlich machen müssen, dass sie eine Bestätigung des Bundes zwischen Gott und Israel ist".15

Martin Stöhr weist in Thesen zu "Neues Verstehen der Trinitätslehre im Horizont des christlich-jüdischen Dialogs"16 darauf hin, dass das "Kriterium einer biblisch angemessenen Rede von Gott (...) die Einhaltung des Ersten Gebotes (ist), wonach der befreiend sich offenbarende Gott keine anderen Götter neben sich anerkennt" (These 11). Eine Trinitätslehre hat also darauf zu achten, dass sie die Einheit Gottes wahrt, indem sie wahrnimmt, dass gerade die Dogmen zur Trinität in den frühen Konzilien sich gegen einen Tritheismus, also gegen eine Auflösung des Glaubens an den einen und einzigen Gott, wendeten (These 9).

In These 33 sagt Stöhr schließlich, was heute im christlich-jüdischen Dialog notwendig ist: "Es geht heute nicht um die Eliminierung der Trinitätslehre, wohl aber angesichts der christlichen Vergessenheit des Gottesnamens und der damit immer ausgesagten Israelgeschichte um ihre Neuformulierung."

Teil II

Übernahme der Leitung des Ev. Arbeitskreises Kirche und Israel in Hessen und Nassau

Nach dem Vikariat in Offenbach, während dessen ich am Rande von der Existenz des "Ev. Arbeitskreises Kirche und Israel in Hessen und Nassau" erfahren, aber keinen Kontakt aufgenommen hatte, bat ich die Kircheleitung darum, mein Spezialpraktikum in Israel absolvieren zu können und zwar für ein Jahr. Für mich war das eine Ergänzung zu meinem ersten Israelaufenthalt von August 1964 bis März 1965, während dessen ich soziale Arbeit in einer Familie und in einem Kibbuz, sowie auf einem Kloster verrichtet habe.

In der Ev. Kirche in Hessen und Nassau war es damals noch nicht üblich, das reguläre halbe Jahr Spezialpraktikum im Ausland prinzipiell als ganzes Jahr anzusetzen. Die einzige Rückfrage des zuständigen Oberkirchenrates war, ob ich den Aufenthalt womöglich als Sprungbrett für eine andere Karriere nutzen wolle. Damals herrschte nämlich noch Pfarrerknappheit. Mit bestem Gewissen konnte ich versichern, dass ich Gemeindepfarrer werden wolle. Und davon bin ich bis heute nicht abgewichen. Da damals die Ordination noch nicht an die Übernahme eines Gemeindepfarramtes gebunden war, musste ich nach dem offiziellen Ende des halbjährigen Spezialpraktikums ordiniert werden. Diese Ordination wurde von Propst Glatte am 4. Juni 1972 in der ev.-luth. Erlöserkirche in der Altstadt von Jerusalem durchgeführt.

In dem letzten Teil des Praktikums Mitte 1972 erhielt ich von der Landeskirche die Anfrage, ob ich die Leitung des Ev. Arbeitskreises Kirche und Israel übernehmen wolle, vielleicht mit halber Stelle in einer Gemeinde und halber Stelle beim Ev. Arbeitskreis Kirche und Israel oder vielleicht neben einer Schulpfarrerstelle. Meine Antwort: Leitung gerne, aber nur mit einer Gemeindepfarrstelle, ob es nicht eine kleine Gemeinde gebe?

Nach meiner Rückkehr im August 1972 erhielt ich eine Pfarrvikarsstelle in der Dreifaltigkeitsgemeinde in Frankfurt/Main und die Leitung des Arbeitskreises. Pfarrer Wirth, mein Amtsvorgänger, der in Frankfurt Studierendenpfarrer war und ins Ruhrgebiet wechselte, führte mich in der Sitzung vom 11. Oktober 1972 in den Arbeitskreis ein. Als Thema stellten wir uns "Das christlich-jüdische Gespräch über und in Israel".

Die Einladung zur ersten Sitzung unter meiner Leitung erfolgte für den 17. Januar 1973. Es sollte über die Konzeption der Arbeit in den nächsten Jahren gesprochen werden. Aus diesen ersten Jahren gibt es aber keine Protokolle, sodass kaum über Ergebnisse dieses Beratungsprozesses berichtet werden kann. Indirekt ist aber aus der Einladung zur nächsten Sitzung am 16. Mai 1973 erkennbar, dass drei Arbeitsgruppen gebildet worden sind, die Konzepte erarbeiten sollten.

Die Konkretisierung und damit auch Ausweitung der Arbeit des Arbeitskreises führte 1975 mit meinem Pfarrstellenwechsel nach Frankfurt/Main-Westhausen zur Einrichtung einer Teilzeitstelle einer Schreibkraft.

Auch das Selbstbewusstsein des Arbeitskreises zeigte sich verstärkt darin, dass nach einem Logo (damals: Signé genannt) gesucht wurde. Gefunden wurde eine Kombination aus Fisch und Menora:

Bewusst wurde auf die Verwendung des Kreuzes verzichtet.

Positionen seit der Gründung des Ev. Arbeitskreises Kirche und Israel

Die Positionen des Arbeitskreises haben sich im Laufe der Jahre nicht grundsätzlich verändert: Der Arbeitskreis kann sich aus theologischen Gründen keine Judenmission vorstellen. Dahinter steht die Überzeugung, dass zwar Christus das Heil der Welt ist, dass aber die Heilsverheißungen für die Juden nach wie vor gültig sind. Damit haben Christen keine Veranlassung, Juden ein anderes Heil zuzusprechen als das Heil, welches ihnen ihr Gott, den auch wir Christen anbeten, verheißen hat. Alles andere wäre Spekulation. Auch der Satz des Apostels Paulus, am Ende "wird ganz Israel gerettet werden" (Röm 11,26), ist nicht zwingend auf Jesus Christus zu beziehen, selbst wenn Paulus selber es so gesehen haben sollte. Zumindest aber ist diese paulinische Aussage dahingehend zu verstehen, dass die Rettung Israels offensichtlich nicht das Problem der Christen ist, wenn sie nur begreifen, dass Paulus mit diesem Satz vor allem einen Aufschub für die noch nicht bekehrten Heiden schafft.

Ansonsten hat der Arbeitskreis schon früh die Positionen eingenommen, die schließlich durch die Synode der Ev. Kirche in Hessen und Nassau als Bekenntnis im Grundartikel formuliert wurden. Insofern war es folgerichtig, nach 1991 den im Grundartikel ergänzten Satz in die Position des Arbeitskreises zu übernehmen und den Ev. Arbeitskreis Kirche und Israel damit auch im Bekenntnis der Landeskirche eindeutig zu positionieren: "Aus Blindheit und Schuld zur Umkehr gerufen, bezeugt sie (die Ev. Kirche in Hessen und Nassau) neu die bleibende Erwählung der Juden und Gottes Bund mit ihnen. Das Bekenntnis zu Jesus Christus schließt dieses Zeugnis ein."

Damit ist die Arbeit aber natürlich nicht erledigt. Die theologische Debatte geht weiter. Aber die Pionierzeit des christlich-jüdischen Dialogs ist zu Ende. Vor allem nimmt allmählich eine Generation Abschied, die ganz konsequent ihren Glauben gemessen hat an der Wirklichkeit, dass nach Auschwitz kein theologischer Satz mehr unhinterfragt so formuliert werden kann wie vor Auschwitz. Theologen wie Johann Baptist Metz, Paul van Buren und Friedrich Wilhelm Marquardt haben hier Schneisen geschlagen. Jüdische Gesprächspartner wie Nathan Peter Levinson, Albert Friedländer, Jonathan Magonet haben in der Diskussion geholfen, wichtige Schritte zu gehen. Christliche Dogmen wurden hinterfragt und zunächst einmal beiseite gelegt oder es wurde versucht, sie in den christlich-jüdischen Dialog einzubringen. Nun ist wohl die Zeit gekommen, hier neue Wege zu gehen und die Dogmatik auf den Prüfstand zu stellen.

Die Einbindung des Arbeitskreises in die Ev. Kirche in Hessen und Nassau

Der Ev. Arbeitskreis Kirche und Israel hat sich seit seiner Gründung als eine Gruppe verstanden, die innerhalb der Ev. Kirche in Hessen und Nassau arbeitet, Anregungen gibt, theologische Vorstöße macht und Hilfen anbietet. Er hat sich von Anbeginn aber auch nicht als landeskirchliche Institution gesehen, sondern als ein unabhängiger Arbeitskreis, der seine theologischen Positionen eigenverantwortlich einnimmt. Insofern war es vielleicht richtig, dass zwar der Vorsitzende einen speziellen Auftrag für die Leitung des Ev. Arbeitskreises Kirche und Israel bekam und auch hierfür von den Pflichtstunden Religion freigestellt wurde, aber letztlich seine Funktion nicht als offizielle Pfarrstelle übernommen hat.

Dennoch ergaben sich immer enge Berührungspunkte mit der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, wenn sie sich auch im Lauf der Jahre verändert haben. Wurden in den Anfangsjahren noch Predigtmeditationen von Mitgliedern des Ev. Arbeitskreises Kirche und Israel im Amtsblatt veröffentlicht, verselbstständigten sich die Veröffentlichungen des Ev. Arbeitskreises Kirche und Israel ab den siebziger Jahren in eigener Verantwortung.

Zugleich aber kam es zu regelmäßigen Kontakten mit den Kirchenpräsidenten, dem "Leitenden Geistlichen Amt (LGA)", mit dem zuständigen Oberkirchenrat bzw. Oberkirchenrätin für Mission und Ökumene und schließlich auch mit der Synode.

Auf diese Weise war es dem Ev. Arbeitskreis Kirche und Israel möglich, Gesichtspunkte des christlich-jüdischen Dialogs, aber auch Fragen des Staates Israel und des Nahostkonfliktes in Gesprächen mit dem Kirchenpräsidenten oder dem LGA zu erläutern. Inhaltlich gab der Ev. Arbeitskreis Kirche und Israel Anregungen, ohne selber kirchenpolitische Initiativen zu ergreifen.

Als die Frage nach Konsequenzen aus dem christlich-jüdischen Dialog für die Kirche auch in der hessen-nassauischen Landeskirche aktuell wurde, beteiligte sich der Ev. Arbeitskreis Kirche und Israel an der thematischen Vorbereitung und Durchführung von Synoden. Das galt insbesondere für die Synode 1981, als es um die Vermittlung von Wissen über das Judentum und Konsequenzen für unseren christlichen Glauben aus dem Judentum heraus ging und für den synodalen Prozess, der 1991 in die Ergänzung des GA mündete.

Im Vorfeld der Synode 1981 war schon klar gemacht worden, dass keine synodale Erklärung das Ergebnis dieser Synode sein solle, was dieser Synode eine etwas isolierte Stellung gab. Denn nun stellte sich die Frage, was mit den erarbeiteten Themen gemacht werden sollte. Nur sehr begrenzt war es möglich, den Schwung in den kirchlichen Alltag zu retten.

Folgende Themenbereiche wurden verhandelt:

- Der Jude Jesus von Nazareth als Frage an unser Glaubensverständnis
- Judenfeindschaft in der Kirche als Frage an das heutige Verhältnis der Kirche zum Judentum
- Die Jüdische Bibel als Basis des christlichen Glaubens
- Christlicher Glaube/Christliches Leben vor Auschwitz/nach Auschwitz
- Der Staat Israel als politische und religiöse Herausforderung an die Christenheit

Die dort angeschnittenen Fragen hätten es verdient gehabt, in der Landeskirche breit diskutiert zu werden. Vor allem die Frage einer "Theologie nach Auschwitz", die in jenen Jahren noch sehr jung war, hätte bis tief in die Gemeinden hinein diskutiert werden müssen. Die Argumente der Gegner dieser Debatte, die den Vertretern einer Theologie nach Auschwitz vorwarfen, sie würden neben Jesus Christus ein weiteres Offenbarungsereignis stellen und damit Auschwitz sogar aufwerten, hätten kontrovers diskutiert werden müssen. Dies ist ein nur schwer zu verstehender Vorwurf, da es bei den Fragen einer Theologie nach Auschwitz nicht um neue Offenbarungsqualitäten geht, sondern um die Verdunkelung oder gar Zerstörung der bisherigen Offenbarungsgewissheiten. Gerade angesichts der Schuldverstrickung der Vorgängerkirche der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, der Ev. Landeskirche Nassau-Hessen, hätte dies Not getan und eine reinigende Wirkung gehabt.

Aber auch die Frage nach unserer Beziehung zu Israel und unserer Einstellung zum Nahostkonflikt hätten in der Breite diskutiert werden müssen. Gerade in der zu der Zeit noch ziemlich links ausgerichteten Landeskirche wäre ein Diskurs über berechtigte Kritik an Israel und verkappten Antijudaismus fruchtbar gewesen.

Ein Pfarrertag der Propstei Südstarkenburg, der mit den Beauftragten für Mission und Ökumene der Dekanate gründlich vorbereitet wurde, blieb ein einmaliges Ereignis. Die Synode selber hat das Thema Judentum dann noch einmal unter religionspädagogischen Gesichtspunkten aufgenommen.

Es war aber ein Unbehagen zu spüren, dass die Ev. Kirche in Hessen und Nassau bislang nicht so vielen anderen Landeskirchen gefolgt war, in irgendeiner Form ihre Stellung zum Judentum verbindlich zu definieren.

So ist es dann letztlich doch nicht überraschend und hat wohl auch seine Wurzeln in der Synode von 1981, dass aus der Synode heraus vorgeschlagen wurde, den Grundartikel der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, der sich auf die altkirchlichen und reformatorischen Bekenntnisse bezieht, aber auch auf die Barmer Theologische Erklärung, in bewusster Ergänzung zu dieser Barmer Erklärung einen Satz in den Grundartikel einzufügen, der eine eindeutige Aussage der Ev. Kirche in Hessen und Nassau zu ihrem Verhältnis zum Judentum erreicht.

An diesem Prozess hat sich der Ev. Arbeitskreis Kirche und Israel intensiv beteiligt, sowohl in der Formulierungssuche als auch in den Debatten von Dekanatskonferenzen und Synoden. Es war eine fruchtbare Debatte, die auch zur Klärung des christlichen Selbstverständnisses beitrug. Da es um die Ergänzung eines Artikels der Grundordnung der Ev. Kirche in Hessen und Nassau ging, musste eine theologische Aussage in einen sehr kurzen Satz gefasst werden. Das war ein sehr schwieriger Prozess.

Tatsächlich war in den ersten Textvorschlägen das Missverständnis enthalten, dass die bleibende Erwählung Israels und Gottes Bund mit ihm der Offenbarungsgrund des christlichen Glaubens sei. Die letzte Textvariante machte dann klar, dass die bleibende Erwählung Israels Teil des christlichen Glaubens selbst sein muss, dass für uns Christen die Offenbarung aber in Jesus Christus liegt.

Nun ist dieser Satz Teil des Bekenntnisses, auf das werdende Pfarrerinnen und Pfarrer ordiniert werden. Die Landeskirche hat sich einer Geschichte gestellt, die mit dem Aussterben der betroffenen Generation nicht abgehakt werden kann, sondern immer weiter auch in ferner Zukunft bedacht werden muss, damit die Kirche nie wieder versage wie im "3. Reich".

Leider muss man dieses Versagen gerade auch für die Vorgängerorganisation der Ev. Kirche in Hessen und Nassau benennen, die sich völlig in die Kirche der "Deutschen Christen" eingegliedert hatte und deren machtpolitische wie auch theologische Positionen übernommen hatte. Ein Opfer unter gewiss vielen wurde der Pfarrer Heinrich Lebrecht, dessen Tochter sein Leben als Pfarrer der Bekennenden Kirche und Gründer einer Bekennenden Gemeinde in Großzimmern eindrücklich beschrieb und in einer Schrift des Ev. Arbeitskreises Kirche und Israel veröffentlichte.17

Nach dem Abschluss der synodalen Debatten endete erst einmal das Interesse für christlich-jüdische Fragen in der Ev. Kirche in Hessen und Nassau. Auch der Ev. Arbeitskreis Kirche und Israel hielt sich zurück, da der Entscheidung doch ein großer Kraftakt vorangegangen war. Es ist allerdings jetzt zu fragen, ob es nur das Durchatmen nach dem Kraftakt war oder ob man mit dem im Grundartikel ergänzten Satz nun meint, zur Tagesordnung übergehen zu können. Denn es gibt ja auch noch ganz andere Fragen, augenblicklich vielleicht brennendere: z.B. Umgang mit dem Islam, Umweltfragen, Strukturreform, feministische Theologie, neue Formen der Verkündigung. Nur: Wie sollen hier die Antworten aussehen, wenn die Grundlage nicht stimmt!

Ich zögere, denen zuzustimmen, die - auch im Ev. Arbeitskreis Kirche und Israel - meinen, ein solcher Satz wäre heute in der Synode der Ev. Kirche in Hessen und Nassau nicht mehr durchsetzbar. Vielleicht vergisst man dabei zu leicht, dass bis zur Entscheidung ein langer Weg zu gehen war. Wenn es wirklich noch nicht die Ergänzung des Grundartikels gäbe, hätte man ihn vielleicht nicht in den vergangenen Jahren durchsetzen können, in denen die Strukturdebatte das kirchliche Leben bestimmte. Aber wenn es den Mangel einer fehlenden Erklärung gäbe und die Notwendigkeit von einigen gesehen würde, würde die Debatte in der Synode der Ev. Kirche in Hessen und Nassau offen, kontrovers aber schließlich erfolgreich geführt werden.

Wichtiger als diese etwas resignierende Feststellung ist die Erkenntnis der Aktualität dieses Themas auch in der heutigen Zeit und der Start neuer Initiativen auf der Ebene der Dekanate und Gemeinden.

Jetzt, im Jahr 2006, nach fünfzehn Jahren, könnte der Zeitpunkt hierfür gekommen sein.

Es ist auch die Zeit, die Wirkung der GA-Ergänzung zu prüfen. Probeweise habe ich mich dieser Aufgabe unterzogen:

Aus Blindheit

2 Mose 34, 34f

Und wenn er hineinging vor den HERRN, mit ihm zu reden, tat er die Decke ab, bis er wieder herausging. Und wenn er herauskam und zu den Israeliten redete, was ihm geboten war, sahen die Israeliten, wie die Haut seines Angesichts glänzte. Dann tat er die Decke auf sein Angesicht, bis er wieder hineinging, mit ihm zu reden.

2 Kor 3,12-14

Weil wir nun solche Hoffnung haben, sind wir voll großer Zuversicht und tun nicht wie Mose, der eine Decke vor sein Angesicht hängte, damit die Israeliten nicht sehen konnten das Ende der Herrlichkeit, die aufhört. Aber ihre Sinne wurden verstockt. Denn bis auf den heutigen Tag bleibt diese Decke unaufgedeckt über dem Alten Testament, wenn sie es lesen, weil sie nur in Christus abgetan wird.

Eigene Blindheit zu bekennen, war nicht Teil der kirchlichen Tradition. Schon die Darstellungen an romanischen und gotischen Domen haben die Blindheit der Synagoga vorbehalten (vgl. in unserer Region: Dom zu Worms am Südportal/Haupteingang), die stets mit verbundenen Augen dargestellt wurde. Gerne hat die Kirche die paulinische Deutung übernommen, die die Decke auf dem Angesicht des Mose als Ende der Herrlichkeit Gottes deutete.

Die eigene Blindheit aber für Gottes Treue zu seinem Volk Israel machte Christen unfähig, rechtzeitig entschieden zu handeln.

Frage:
- Haben wir das Bild von der triumphierenden Ekklesia und der blinden Synagoga wirklich überwunden?
- Achten die theologische Wissenschaft und die Predigt auf eine angemessene Redeweise über den jüdischen Glauben?

und Schuld

Ps 32,5

Darum bekannte ich dir meine Sünde, und meine Schuld verhehlte ich nicht. Ich sprach: Ich will dem HERRN meine Übertretungen bekennen. Da vergabst du mir die Schuld meiner Sünde.

Mt 6,12

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.

Jak 2,10

Denn wenn jemand das ganze Gesetz hält und sündigt gegen ein einziges Gebot, der ist am ganzen Gesetz schuldig.

Schuld wird im Christentum gerne gleich gesetzt mit der Vergebung, die uns zugesagt ist. Und ganz gewiss haben wir diese Vergebung auch nötig. Doch allzu oft fordern sie Christen auch ein als etwas, das ihnen zusteht. Dass der Vergebung ein Bekenntnis vorangehen muss und auch die Bereitschaft, andere Schuld zu vergeben, wird leicht vergessen.

Frage:
- Hat die Ev. Kirche in Hessen und Nassau jemals expressis verbis die Schuld der Ev. Landeskirche Nassau-Hessen, deren Landesbischof Dietrich von einem judenchristlichen Pfarrer als dem "Judenstämmling" Lebrecht sprechen konnte18, bekannt oder sich auf der Tatsache ausgeruht, dass der erste Kirchenpräsident Niemöller ausgewiesen war durch seinen Widerstand gegen das "3. Reich"?
- Haben die Kirchengemeinden in ihre Chroniken geschaut und das Verhalten ihrer Pfarrer und Gemeinden im "3. Reich" zur Kenntnis genommen?19

zur Umkehr gerufen,

Hiob 41, 5+6

Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum spreche ich mich schuldig und tue Buße in Staub und Asche.

Apg 11,18

Als sie das hörten, schwiegen sie still und lobten Gott und sprachen: So hat Gott auch den Heiden die Umkehr gegeben, die zum Leben führt!

Als Umkehr haben die Mitglieder der Synode der Ev. Kirche in Hessen und Nassau 1991 den Schritt verstanden, das Verhältnis der Kirche zu ihren Wurzeln im Judentum als Teil ihres christlichen Bekenntnisses zu benennen. Buße und Umkehr ist allerdings kein mit der Ergänzung des Grundartikels abgeschlossener Vorgang.

Frage:
- Umkehr ist ein zu gehender Weg. Welche Schritte sind bisher gegangen worden?
- Sind wir gegen jede Form von Antisemitismus in unseren Gemeinden eingetreten?
- Haben wir selber auf Klischees verzichtet, wenn es z.B. um die Bewertung des Nahostkonfliktes ging (z.B. Auge um Auge)?

bezeugt die Ev. Kirche in Hessen und Nassau

1.Chr 29,20

Und David sprach zur ganzen Gemeinde: Lobet den HERRN, euren Gott! Und die ganze Gemeinde lobte den HERRN, den Gott ihrer Väter, und sie neigten sich und fielen nieder vor dem HERRN und vor dem König.

Ps 22,23

Ich will deinen Namen kundtun meinen Brüdern, ich will dich in der Gemeinde rühmen.

Ps 74,2

Gedenke an deine Gemeinde, die du vorzeiten erworben und dir zum Erbteil erlöst hast, an den Berg Zion, auf dem du wohnest.

Das Bekenntnis wird nicht nur vom Einzelnen gefordert, sondern es ist Teil des Selbstverständnisses der Ev. Kirche in Hessen und Nassau. Damit übernehmen die Kirche, ihre Pfarrerinnen und Pfarrer, Lehrerinnen und Lehrer und auch alle Ehrenamtlichen eine große Verantwortung in der Verkündigung wie auch in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung.

In der Ev. Kirche in Hessen und Nassau kann nicht mehr antijüdisch gepredigt, unterrichtet, gesprochen werden, ohne sich außerhalb der Ordnungen der Ev. Kirche in Hessen und Nassau zu stellen.

Frage:
- Halten die Sonntagspredigten diesem Anspruch stand?
- Verzichtet der Religions-/Konfirmandenunterricht auf die Klischees von Gesetz und Evangelium, Gott der Liebe, Gott der Rache?

neu

Jer 31, 31-33

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, ein Bund, den sie nicht gehalten haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.

1.Joh 1,9

Wenn wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit.

Eigentlich hätte man es wissen können.

Immer gab es Christen, die die Wurzeln ihres Glaubens im Judentum erkannten, selbst wenn sie am Ende die Hinwendung der Juden zu Christus erwarteten, selbst Luther war sich des Jude-Seins Jesu bewusst. Der Pietismus erkannte die Wurzeln im Judentum in seinem Glaubensvollzug.

Deshalb bekennt die Ev. Kirche in Hessen und Nassau neu, wiederholt sie etwas, was eigentlich im Bewusstsein des Glaubens angelegt ist.

Frage:
- Hat sich etwas in der Ev. Kirche in Hessen und Nassau verändert?
- Ist die Verkündigung jetzt unverkennbar neu?
- Ist in der Ev. Kirche in Hessen und Nassau ein "Gottesdienst in Israels Gegenwart" selbstverständlich?

die bleibende Erwählung der Juden

Jes 14,1

Denn der HERR wird sich über Jakob erbarmen und Israel noch einmal erwählen und sie in ihr Land setzen. Und Fremdlinge werden sich zu ihnen gesellen und dem Hause Jakob anhangen.

Röm 11,28

Im Blick auf das Evangelium sind sie zwar Feinde um euretwillen; aber im Blick auf die Erwählung sind sie Geliebte um der Väter willen.

Nach Jahrhunderten, in denen die christliche Kirche sich selber als das erwählte Volk Gottes sah, in denen die Kirche alle Verheißungen auf sich selbst bezog, ohne auch konsequent die Strafpredigten Gottes auf sich zu beziehen, fällt es noch immer schwer zu begreifen, dass es da eine lebendige Religion gibt, die nicht nur Wurzel des christlichen Glaubens ist, sondern auch neben dem Christentum seit 2000 Jahren existiert. Dass Gott Jüdinnen und Juden und zugleich auch Christinnen und Christen erwählen kann, ist in das theologische Denken der Christen neu einzubeziehen.

Frage:
- Verzichten wir in der Ev. Kirche in Hessen und Nassau auf den "Alleinvertretungsanspruch" des Christentums?
- Ist für uns Jesus Christus wohl Ziel, aber nicht Ende des Gesetzes/der Weisung?

und Gottes Bund mit ihnen.

2.Mose 19,5

Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern; denn die ganze Erde ist mein.

Röm 9, 1-5

Ich sage die Wahrheit in Christus und lüge nicht, wie mir mein Gewissen bezeugt im heiligen Geist, dass ich große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlass in meinem Herzen habe. Ich selber wünschte, verflucht und von Christus getrennt zu sein für meine Brüder, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch, die Israeliten sind, denen die Kindschaft gehört und die Herrlichkeit und die Bundesschlüsse und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen, denen auch die Väter gehören, und aus denen Christus herkommt nach dem Fleisch, der da ist Gott über alles, gelobt in Ewigkeit. Amen.

Wenn die Kirche sich an Pfingsten nicht nur der Ausgießung des Heiligen Geistes und der Feuer- und Winderscheinungen erinnerte, sondern auch des dazugehörigen jüdischen Festes, das den Bundesschluss am Sinai zum Inhalt hat, dann könnte sie erkennen, dass es bei Gott nicht nur einen einzigen Bundesschluss gibt, der andere ausschließt. Vielmehr schließt Gott immer wieder seinen (einseitigen) Bund mit den Juden und (hoffentlich) auch mit den Christen.

Frage:
- Begreifen wir den Bund, den Gott mit uns in Christus geschlossen hat als Auftrag, nicht aber als Privileg?
- Wenden wir uns im Gott des neuen Bundes auch zu dem Gott des alten Bundes und so vieler neuer Bundesschlüsse?

Das Bekenntnis zu Jesus Christus schließt dieses Zeugnis ein.

Kol 1,18

Und er (Christus) ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde. Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten, damit er in allem der Erste sei.

Mit der Aufnahme der Barmer Theologischen Erklärung in den Grundartikel hat die Ev. Kirche in Hessen und Nassau von Anfang an sowohl die altkirchlichen als auch die reformatorischen Bekenntnisse in das Licht des Kirchenkampfes gestellt. Diese Bekenntnisse dürfen nicht entstellt werden durch Ideologien oder Glaubensverfälschungen, wie sie durch die "Deutschen Christen" erfolgten.

Das Verhältnis zu den Juden wird hier nicht ausdrücklich angesprochen, deshalb musste dies ergänzt werden.

Frage:
- Ist dieses Bekenntnis von allen Mitgliedern der Ev. Kirche in Hessen und Nassau ernst genommen worden?
- Ist es bei den Ordinationsgelübden mehr als ein Lippenbekenntnis?
- Können sich vor der Ergänzung des Grundartikels Ordinierte wirklich darauf zurückziehen, sie seien ja noch nach der alten Formel ordiniert worden?

Weitere Fragen:
- Könnte meine Verkündigung vor und nach Auschwitz dieselbe sein?
- Habe ich als Christ eine besondere Beziehung zum Staat Israel?
- Wie hältst du's mit dem Judentum? (Titel des Jubiläumsbuches des Ev. Arbeitskreises Kirche und Israel)
- Ist auch für Juden Jesus Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben?

Gedenken

In Deutschland gilt es, das Grauen des sog. "3. Reiches" als Mahnung und Warnung gegenwärtig zu halten. Aber wollen wir uns überhaupt und wirklich erinnern, oder sagen wir, das muss einmal ein Ende haben mit der Vergangenheit? Können wir das Ende des "3. Reiches" wirklich als Befreiung verstehen oder doch nur als eine Niederlage, deren Gegenteil ich mir gar nicht vorstellen mag.

Ein Arbeitskreismitglied formuliert in einem Interview angesichts der Ablehnung einer Kollektivschuld der Deutschen: "Ich fand es unbefriedigend, dass man nicht bedenkt, welche Chancen darin auch liegen können, wenn man kollektive Schuldbekenntnisse spricht und dann die Vergebung und Befreiung auch erfahren darf."20

Stattdessen hat es in Deutschland einen gewaltigen Verdrängungsprozess im Blick auf die Geschichte des "3. Reichs" gegeben. Man konnte sich verstecken hinter dem Wiederaufbau. Die internationale Politik hatte ein Interesse daran, die "Westzone" im kalten Krieg in die westliche Hemisphäre einzubinden. Und erst in diesen Tagen, in denen einige bisher nicht zugängliche Urkunden der Wissenschaft zugänglich gemacht wurden, wird deutlich, dass die Verfolgung eines Adolf Eichmann von deutschen und amerikanischen Geheimdiensten über Jahre hin verschleiert, behindert und verschleppt wurde, bis er schließlich vom israelischen Geheimdienst gekidnappt, 1961 in Israel vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt wurde. Auch die Nazivergangenheit des Staatssekretärs im Kanzleramt Hans Globke, dem Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, wurde ganz bewusst von dem amerikanischen Geheimdienst vertuscht21.

Der Kultur in Deutschland hat das nicht gut getan. Denn "Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung"22. Wo aber verdrängt wird, bleibt Unaufgearbeitetes, das dann an unerwarteten Stellen aufbrechen kann.

Der biblische Glaube lebt von der Erinnerung. Judentum wie Christentum erinnern sich an die Offenbarungsereignisse und Heilsereignisse in ihren Glaubensurkunden. Das Judentum feiert all seine großen Wallfahrtsfeste als Erinnerung an Gottes Handeln mit seinem Volk Israel: Pessach - Auszug aus Ägypten, Schawuot - Bundesschluss am Sinai, Sukkot - 40 Jahre Wüstenwanderung.

Auch das Christentum erinnert sich an Ereignisse der Heilsgeschichte: Weihnachten - Geburt Christi, Ostern - Auferstehung, Pfingsten - Geistausgießung.

Nur im Erinnern bleiben diese Ereignisse lebendig und Teil des aktuellen Glaubens. Doch das Erinnern richtet sich nicht einfach nur auf Vergangenheit, vielmehr ist es die Vergegenwärtigung des Ereignisses in der Gegenwart. Und aus dieser Vergegenwärtigung heraus entsteht die Verantwortung für die Gegenwart.

Gottesdienste

Der Themenbereich Gottesdienst gehört zu den ureigensten Gebieten der Arbeit des Arbeitskreises. Hier sind allerdings verschiedene Ebenen zu beachten:

Gottesdienstmaterialien

Ein wesentlicher Teil ist die Wortverkündigung. So stand auch in den ersten Jahren des Arbeitskreises die Erstellung von Predigtmeditationen im Vordergrund. Ab den siebziger Jahren veränderte sich dies, wohl auch entsprechend den Veränderungen im gottesdienstlichen Bereich überhaupt. Wenige Jahre zuvor war die "Beratungsstelle für Gottesdienste und andere Gemeindeveranstaltungen" entstanden. In Zusammenarbeit mit ihr wurde auch das erste Heft erarbeitet. Das erste Augenmerk richtete sich auf den 10. Sonntag nach Trinitatis, dessen Kollekte seit den Zeiten von Adolf Freudenberg, dem Gründer des Arbeitskreises, für "Dienste in Israel" (ursprünglich "Dienst an Israel") bestimmt war. Hier wurden, ausgehend von dem vorgesehenen Predigttext, Liturgie und Predigtmeditation und weitere Texte erarbeitet bzw. zusammengestellt. Gelegentlich übernahm der Arbeitskreis in den Jahren danach entsprechende Erarbeitungen von anderen Organisationen wie "Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste" oder "Begegnung Christen/Juden" in Bayern.

Mit der Gründung des "Projektausschusses Gottesdienst" Mitte der neunziger Jahre wurden vom Ev. Arbeitskreis Kirche und Israel jährlich Hefte erstellt, nun allerdings nicht immer zum 10. Sonntag nach Trinitatis, sondern zu unterschiedlichen Themen.

Eine besondere Herausforderung sind Gottesdienstentwürfe für den Karfreitag. Ging es bei Entwürfen für den Israelsonntag vor allem darum, antijüdische Tendenzen der Sonntagsthematik zu verhindern und den Zusammenhang zum Tischa b'Av, dem jüdischen Gedenktag der Tempelzerstörung, herzustellen, rührte der Arbeitskreis mit der Thematik Karfreitag an das Zentrum der christlichen, vor allem evangelischen Verkündigung. Im Hintergrund stand das Bewusstsein, dass der Karfreitag über Jahrhunderte für die jüdischen Mitbürgerinnen und -bürger ein gefährlicher Tag war. Die Verkündigung der Kreuzigung Jesu verbunden mit dem Vorwurf, die Juden hätten Jesus ans Kreuz gebracht, führte immer wieder zu gewaltsamen Übergriffen auf Jüdinnen und Juden.

Im Jahr 1981 wurde ein Heft herausgebracht, das stark beeinflusst war von der in den siebziger Jahren aufgekommenen Theologie nach Auschwitz. Im Vorwort heißt es: "Die Kirche hat, wenn auch zögernd, ihre Schuld an den Juden bekannt. Aber hat die Erfahrung des Holocaust unsere Verkündigung an Karfreitag verändert?" Neben den einschlägigen Bibeltexten fallen vor allem zwei Teile dieses Heftes auf:

Zum einen wurde ein Gottesdienst entworfen, in dessen Mittelpunkt das Chagallbild "Die weiße Kreuzigung" stand, auf der Jesus eindeutig als Jude mit dem Gebetsmantel als Lendenschurz dargestellt wird. Damals war es noch eine überraschende Erkenntnis, dass Marc Chagall eine Kreuzigung darstellt und in gewisser Weise Jesus heimholt in sein Judentum. Inzwischen ist bewusst geworden, dass Chagall sich häufiger dieses Motivs bedient. Für die Verkündigung an Karfreitag war - und ist wohl auch heute noch - ein solches Bild aufrüttelnd. Das herkömmliche Feindschema, die Juden hätten "unseren" Christus ans Kreuz gebracht, ließ sich nicht mehr aufrecht erhalten. Nun war es der Jude, der gekreuzigt wurde, und die von Chagall gezeichnete Umwelt dieses Gekreuzigten zeigt die Verfolgung und Vernichtung der Juden. Hier stehen plötzlich die Christen auf der Seite der Täter.

Im letzten Teil des Heftes wurden Gedichte und Texte abgedruckt, alle aus jüdischer Feder, u.a. Hermann Adler, Mascha Kaleko, Nelly Sachs. Und es wurde eine Beschreibung des Oratoriums von Arnold Schönberg angefügt: "Ein Überlebender von Warschau".

In dieser Dichte blieb dieses Heft unwiederholt.

Allerdings wurde 2003 die Thematik in einem Heft "Kreuze" noch einmal aufgenommen. Hier wurden Passionsandachten zu Kreuz-Bildern erarbeitet. Dieses Heft gehört in die Reihe "Gottesdienst in Israels Gegenwart". Der Arbeitskreis nimmt mit dieser Bezeichnung einen Titel auf, der für drei Bände mit Predigtmeditationen im Auftrag der "Studienkommission Kirche und Judentum der EKD" von Arnulf Baumann und Ulrich Schwemer unter dem Titel "Predigen in Israels Gegenwart" herausgegeben wurde. Wenn auch die Veröffentlichungen nicht alle 6 Perikopenreihen umfasste, wurde der Titel doch zu einem Markenzeichen.

Liturgie und Jahresfestkreis

Einen völlig anderen Aspekt zum Themenbereich Gottesdienst bildet die Frage nach den jüdischen Wurzeln des Gottesdienstes. Diese Thematik habe ich selber in einer sechswöchigen Fortbildung in Israel bearbeitet mit dem für mich überraschenden Ergebnis, dass die Wurzeln sich nicht nur dort zeigen, wo sie sozusagen auf der Hand liegen, nämlich an Ostern, sondern dass das ganze Kirchenjahr in einem engen Zusammenhang mit dem jüdischen Jahreskreis steht. Überraschend ist vielleicht auch, dass gerade die so offensichtliche Verknüpfung Pessach/Ostern bei genauem Hinsehen gar nicht so klar zutage liegt. Nur über den Begriff Freiheit lassen sich der Auszug aus Ägypten und die Auferstehung zusammenbringen. Interessanter ist da dann schon der Gründonnerstag mit der Einsetzung des Abendmahles beim Passafest. Hier gilt es auch gegenwärtig noch, diese jüdischen Wurzeln (evtl. im Erev-Schabat-Essen) zu erheben und das Abendmahl davor zu bewahren, aus den griechischen Mysterienkulten gedeutet zu werden.

Aufregender ist da schon die Betrachtung des Pfingstfestes, dessen Bindung an das Schawuotfest im Christentum fast völlig vergessen worden ist, was sich bis in die Perikopenreihe hin auswirkt. Wäre Christen nämlich bewusst, dass das Pfingstereignis von Apg 2 die Motive der Sinaioffenbarung aufnimmt und dass die Juden an diesem Fest den Bundesschluss am Sinai feiern, dann würde die Verkündigung an Pfingsten eine ganz andere Färbung bekommen. Hier könnte der Bundesschluss am Sinai und die Kirche als neues Bundesvolk nebeneinander verkündigt werden, also Gottes bleibender Bund mit Israel und seine Offenbarung in Christus. Stattdessen bekommt die Geschichte der Sprachverwirrung beim Turmbau zu Babel einen hohen Stellenwert in dem Sinne, dass in Christus etwas wieder hergestellt werde, was im alten Bund zerstört worden sei. Nicht zur Kenntnis wird genommen, dass dieselbe Tradition auch im Judentum bekannt ist. Hier kommen die Völker am Sinai zusammen und plötzlich verstehen sich alle in ihren fremden Sprachen.

In diesem Rahmen sei nur darauf hingewiesen, dass sogar das jüdische Neujahrsfest und das Laubhüttenfest im Herbst Beziehungen haben zum Ewigkeitssonntag und zum 1. Advent, der ja das christliche Neujahrsfest ist mit sehr ähnlicher Thematik.

Schließlich gilt es in den liturgischen Formen und Abläufen zu erkennen, wie viele Elemente des jüdischen Gottesdienstes hier in die christliche Liturgie Eingang gefunden haben.23

Christlich-jüdische Gottesdienste

Ein weiterer Bereich sind christlich-jüdische Gottesdienste. Von den ersten Anfängen an, wie z.B. der "Woche der Brüderlichkeit", gab es solche Gottesdienste aus dem Bedürfnis heraus, gemeinsam vor Gott zu treten, der doch im Alten wie im Neuen Testament der Eine und Einzige ist. In der Regel gab es einen katholischen, einen evangelischen und einen jüdischen Würdenträger. Diese Form blieb lange unhinterfragt, bis Mitte der siebziger Jahre die Frage aufkam, ob das alles eigentlich so unkompliziert gehe: Reicht es, dass die Christen einfach auf alle christologischen Formeln verzichten? Ist es richtig, den aaronitischen Segen zu sprechen, der im Judentum doch nur von den Kohanim (Priestern) gesprochen werden darf? Ist das Vaterunser wirklich auch jüdisch mitzusprechen, nur weil keine christologische Formel enthalten ist und es eine Kurzfassung des 18-Bitten-Gebets ist?

Auf zwei Kirchentagen wurde mit jüdisch-christlichen Feiern experimentiert, die gemeinsam von Juden und Christen zu einem bestimmten Thema erarbeitet wurden. Ich persönlich halte dies auch heute noch für eine angemessene Form gemeinsamen Gotteslobs. Allerdings wurde das Experiment nicht fortgeführt. Stattdessen hat sich die "AG Juden und Christen beim DEKT" über Jahre hinweg überhaupt von solchen Gottesdiensten ferngehalten, wohingegen die Katholiken auch beim ökumenischen Kirchentag in Berlin kein Problem hatten, einen christlich-jüdischen Gottesdienst in der herkömmlichen Weise zu feiern.

Hier ist gegenwärtig tatsächlich weiter nach Formen zu suchen, die gemeinsame religiöse Feiern ermöglichen. Eine Alternative hierfür kann nicht einfach die Teilnahme am Gottesdienst bei dem je anderen sein. Ein Kompromiss könnte eine "multireligiöse Feier" sein, die jeweils gesonderte Teile aus der je eigenen Tradition enthält. Dem kann sogar von jüdisch-orthodoxer Seite zugestimmt werden. Ich persönlich will aber weiter nach der Form suchen, die ein gemeinsames Gotteslob ermöglicht.

Christliche Feiern mit jüdischen Inhalten

Ein weiteres Problemfeld sind christliche liturgische Feiern, die Elemente aus dem Judentum aufnehmen oder sie gar ganz übernehmen. Was ursprünglich aus der Idee geboren wurde, auf diese Weise Schülerinnen und Schülern aber auch in Gemeindefeiern der ganzen Gemeinde eine Information über das Judentum und die christlichen Wurzeln im Judentum zu geben, wurde bald hinterfragt. Einmal lautete der Vorwurf, hier werden jüdische Traditionen nachgespielt. Man solle sich einmal vorstellen, in jüdischen Kreisen werde das Abendmahl nachgespielt. Zum anderen kam der Vorwurf der Enteignung: Durch die Nachahmung einer Pessachfeier werde z.B. diese Tradition in das Christentum herübergeholt.

Im Arbeitskreis ist über diese Fragen mehrfach kontrovers diskutiert worden. Vor allem war unklar, wie eigentlich die Beteiligung von jüdischen Mitgliedern bei solchen Feiern sich auswirke.

Israel und Nahost

Zu Israel und Nahost kann ich heute im Jahr 2006 nicht viel anderes schreiben, als was ich im Materialdienst 1988 aus Anlass des 50-jährigen Bestehens Israels als Vorwort einer Sondernummer des MD geschrieben habe:

"50 Jahre besteht der Staat Israel, ein junges Staatswesen eines alten Volkes. Es wurde gegründet nach der Erfahrung tiefster Gottesfinsternis, für die bis heute kein wirklich passendes Wort gefunden wurde, nach Holocaust, Schoa. Unfassbar war die Brutalität der Judenvernichtung während des "Dritten Reiches", unfassbar und ein Wunder, dass trotz dieser Vernichtung ein jüdischer Staat entstehen konnte, geprägt von der nie erloschenen Zionssehnsucht.

Nur schwer ist die Besonderheit dieser Staatsgründung zu erfassen. Schnell ist sie gedanklich eingebettet in die Schablonen des Nationalismus des letzten und dieses Jahrhunderts. Schnell ist sie gleichgesetzt mit der Entwicklung von nationalem Selbstbewusstsein, wie es in vielen Völkern im letzten und in diesem Jahrhundert entstanden ist. Tatsächlich spielt das nationale Erwachen der Völker auch eine Rolle bei der Entstehung des Zionismus. Einerseits entdecken jetzt auch Juden ihre eigene Identität als Volk, fragen nach ihren Ursprüngen, nach Zeiten staatlicher Existenz, nach ihrer Heimat. Andererseits sprechen sie von einer Zeit, die den modernen Nationalbegriff noch gar nicht kannte, wissen sich als Volk, das in den neuzeitlichen Beschreibungen von Völkern und Rassen nicht einzuordnen ist. Denn Juden fühlen sich nicht nur dem Volk Gottes zugehörig, sondern meistens auch den Völkern und Nationen, in denen sie leben.

Doch diese Frage ist neu, war in Zeiten, als kein Staat sich mit einem einzigen Volk identifizierte, überhaupt nicht zu stellen gewesen. Dass sich der Zionismus tatsächlich als moderne Nationalbewegung durchsetzen konnte, dazu bedurfte es noch eines äußeren Anlasses: des modernen Antisemitismus. Waren in früheren Jahrhunderten die Judenverfolgungen christlich und wirtschaftlich motiviert, bekam die Judenfeindschaft im Antisemitismus nun eine andere Qualität: Die Angehörigen des jüdischen Volkes wurden nun als Fremdkörper in einer Volksgemeinschaft definiert. Und von dieser Überzeugung zur Verfolgung, Vertreibung und Ermordung von Juden war es nicht mehr weit.

So war die antisemitisch motivierte Dreyfußaffäre in Paris für den Journalisten Theodor Herzl ein Schlüsselerlebnis, das ihn bereits in Osteuropa entwickelte Gedanken aufnehmen und ihn zum Vater des modernen Zionismus werden ließ. Dass noch einmal 50 Jahre ins Land gehen würden seit dem ersten Zionistenkongress in Basel bis zur Gründung des Staates Israel, konnte Herzl nicht wissen. Er konnte nur sagen: "Wenn ihr wollt, ist es kein Traum". Vor fünfzig Jahren wurde dieser Traum wahr. Dies Jubiläum gilt es zu feiern.

Und doch tun sich viele schwer, den fünfzigsten Jahrestag Israels zu feiern. Viele sehen in der Judenvernichtung die Triebfeder der Gründung des Staates Israel und sehen die Palästinenser als die Verlierer der Geschichte. Viele glauben, dass wir Christen heute eigentlich eher auf Seiten der Palästinenser zu stehen haben. Viele glauben, dass Israel Unrecht tut.

Tatsächlich wurde den Zionisten erst ganz allmählich bewusst, dass sie auf ein anderes Volk stoßen würden. Noch hatte dies nicht seine eigene Identität gefunden, noch waren die Menschen einfach Untertanen des riesigen osmanischen Reiches. Doch auch bei ihnen begann nun, z. T. in Korrespondenz zum jüdischen Nationalbewusstsein, ein Nationalgefühl zu wachsen. Zunächst verstand es sich als arabisches Nationalbewusstsein, das aber angesichts der Aufspaltung der arabischen Welt sich veränderte zum palästinensischen Selbstbewusstsein.

Hier mussten Spannungen entstehen, die mit der Staatsgründung auch zum ersten israelisch-arabischen Krieg führten. Die von den Arabern verlorenen Kriege führten zur Entwurzelung vieler Araber, die Besetzung des Westjordanlandes und seine jüdische Besiedlung führte zu Konflikten, die während der Intifada nur gewaltsam unterdrückt werden konnten. So wuchs das eine Unrecht am anderen. Und will man als Außenstehender überhaupt den Konflikt begreifen, wird man auf diese gegenseitige Abhängigkeit der Handlungen achten müssen. Nur weil Israel gegenwärtig die scheinbar stärkere Macht ist, (zumindest gegenüber den Palästinensern, anders sieht das schon aus, nimmt man die ganze arabische Welt dazu) kann man die Palästinenser als die Schwächeren bezeichnen. Die verheerenden Anschläge der Hamas sprechen aber daneben eine andere Sprache.

Vor allem aber gilt es folgendes zu beachten. Der Staat Israel ist der einzige Staat im Nahen Osten, der als Demokratie gegründet wurde, dessen Volk seine Regierungen wählt und abwählt. Bei der Auseinandersetzung mit politischen Entscheidungen Israels ist es also wichtig, nicht das Volk mit seiner Regierung zu verwechseln. Gewiss, als der Friedensprozess noch lebte, als noch nicht der Mord an Premierminister Jizchak Rabin alle Hoffnungen zunichte zu machen drohte, war es leichter, über Israel zu sprechen und sich mit ihm zu solidarisieren.

Aber auch wenn man viele politische Entscheidungen Israels nicht nachvollziehen kann, bleibt es doch dabei: Dieser Staat ist ein Zufluchtsort für Juden aus aller Welt. Und angesichts von immer wieder neu aufkeimendem Antisemitismus ist seine sichere Existenz notwendig wie eh und je.

In diesem Sinne gehen unsere guten Wünsche nach Israel. Wir hoffen, dass diesem Volk eines Tages gemeinsam mit seinen arabischen Nachbarn eine Zeit des Friedens blüht, die über alle kulturellen und religiösen Schranken hinweg die Völker verbindet."

Mitglieder des Arbeitskreises haben im Sommer 2005 Demonstrationen gegen den Rückzug aus dem Gazastreifen miterlebt. Jerusalem war orange, Farbe der Gegner des Rückzugs. Wenn auch die Motive Scharons durchaus verschieden gedeutet werden können, wieder hat ein Staatsmann versucht, einen Teil eines besetzten Landes zurückzugeben. Man möchte dies als Hoffnungszeichen nehmen, wenn auch die Wirklichkeit, während ich dies hier schreibe, schon wieder ganz anders aussieht. Nun fallen wieder Hunderte von Raketen auf Israel, sind israelische Soldaten entführt worden, bombardiert Israel Ziele im Gazastreifen und im Libanon. Menschen auf beiden Seiten werden getötet. Extremisten spielen auf der Klaviatur des Volkszorns. Ein Frieden scheint weiter weg denn je.

Fortbildung

Die Tagungsarbeit des Arbeitskreises ist alle Jahre hindurch recht intensiv gewesen, ohne die Tagungen von "Lomdim" mitzurechnen. Bis zur Abschaffung des Buß- und Bettages fanden jährlich die sogenannten Bußtagstagungen statt, von Mittwochabend bis Freitagmittag, in der Hoffnung, vor allem die Pfarrer/innenschaft ansprechen zu können, da ja kein Sonntag betroffen ist. Leider kam diese Zielgruppe eher selten, stattdessen kamen i.d.R. die an der Thematik sowieso Interessierten.

Außerdem gab es immer wieder den Wunsch, im Arbeitskreis selbst stärker thematisch zu arbeiten. Daraus sind über viele Jahre hin die Studientage geworden, die schließlich in einige externe Tagungen übergingen.

Da die Wochenendtagungen immer wieder einmal unter der Frage der Zielgruppe diskutiert wurden, die für den Ev. Arbeitskreis Kirche und Israel ja vor allem die Pfarrerschaft und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ev. Kirche in Hessen und Nassau sind, suchte man nach Formen, die dieser Zielgruppe die Teilnahme ermöglicht. Daraus entstanden die Studientage, die nach wie vor durchgeführt werden.

Die Themenvielfalt ist enorm, ohne dass man sagen könnte, es hätte über die Jahre eine wesentliche thematische Entwicklung gegeben. Am ehesten kann man dies noch zu der Frage der "Theologie nach dem Holocaust" sagen, da diese Frage besonders Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts aktuell war. Allerdings ist die Frage der Theologie nach Auschwitz auch jetzt noch immer wieder zu diskutieren und könnte auch in einer Tagung wieder aufgenommen werden.

Grob lassen sich ansonsten die Tagungen in folgende Themenbereiche aufteilen:

Kennen Lernen des Judentums
Christlich-jüdischer Dialog
Gedenken und Holocaust
Israel und Nahost
Antisemitismus/Antijudaismus
Judenmission

Bei Themen zum Judentum ging es zunehmend nicht mehr um Erstinformation, sondern um eine Vertiefung des schon vorhanden Wissens, etwa zum Talmud oder zur Halacha.

Schluss

An den Diskussionen um den Gottesdienst kann man exemplarisch deutlich machen, wie sich der christlich-jüdische Dialog im Laufe der Jahrzehnte verändert hat. Zunächst einmal ging es darum, dem Judentum zu begegnen. Viele Informationen wurden über das Judentum gegeben, auch in gottesdienstlicher Form, auch gemeinsam mit jüdischen Partnerinnen und Partnern. Für sie hatte es durchaus einen Sinn, jüdische Texte in einem gemeinsamen Gottesdienst zu lesen, um der Gemeinde die Lebendigkeit des Judentums vor Augen zu führen. Ähnliche Intentionen standen auch hinter Vortragsreihen und auch auf dem Kirchentag.

Sehr bald aber reichte das nicht mehr aus. In den Diskussionen ging man über die bloße Information hinaus, fragte nach dem theologisch Verbindenden und Trennenden. In der Bibel suchte man nach den Texten, die Gemeinsames zum Ausdruck bringen und neigte dazu, Texte mit problematischem Inhalt wegzulassen bis hin zu dem Bedürfnis, diese Texte aus der Bibel zu eliminieren.

In dem Moment aber, wo man die christlichen und die jüdischen Aussagen in ihrer Unvereinbarkeit ernst nahm, dass z.B. der christliche Messiasglaube von Juden nicht angenommen werden kann, wurden unversehens ganz andere Fragen aktuell, die gemeinsamen Gottesdienste wurden problematisiert, nach dem Gemeinsamem im Trennenden wurde gefragt.

Schließlich: Was mich anficht

Vielleicht sollte ich dankbar sein. Wir haben in den vergangenen 30 Jahren oder, nehmen wir die gesamte Zeit des Arbeitskreises, in den über 50 Jahren viel erreicht und bewegt:

Wir haben eine Fülle von Gottesdienstmaterialien für einen Gottesdienst "in Israels Gegenwart" vorgelegt und für einen nicht antijüdischen Gottesdienst Hilfestellung gegeben.

Wir konnten mithelfen, dass der Grundartikel unserer Landeskirche ergänzt wurde. Wir haben sehr viele Menschen nach Israel begleitet und ihnen Land, Leute und Probleme gezeigt.

Wir geben einen Materialdienst heraus, der jede/n Interessierte/ten breit über Fragen zum christlich-jüdischen Dialog und zu Israel und Nahost informiert.

Und doch frage ich mich nach so vielen Jahren: Was haben wir eigentlich erreicht? Bin ich zu unbescheiden? Vielleicht, aber eines macht ficht mich nun wirklich an: Dass in diesen Tagen jüdische Gemeinden christliche Kirchen bitten müssen, sich gegen Judenmission und Proselytenmacherei zu wenden. Kaum kamen wieder mehr Juden ins Land, schon sind sie wieder da, die behaupten, wir dürften den Juden doch das Beste nicht vorenthalten, was wir haben: die Erlösung in Jesus Christus.

Wenn ein Jude tatsächlich Christ werden will, wird man ihm gewiss keinen Stein in den Weg legen. Dass aber die Verheißungen Israels nach wie vor gültig sind, das sollte jede Mission überflüssig machen.

Gerade las ich in einer Predigtmeditation von Gerhard Bauer, die wir 1978 veröffentlichten, folgende kleine Anekdote, eine Beobachtung in Los Angeles:

"In der Auseinandersetzung der ‚Stoßstangen-Theologen' fiel erweckten christlichen Gruppen, die in Jesus die Wahrheit gefunden hatten, der bündige Slogan ein: WE FOUND IT. Diesen Aufkleber auf der Stoßstange fuhren sie durch die Stadt. Jüdische Gruppen, nicht weniger bündig und auch nicht nur witzig, klebten und fuhren dagegen: WE NEVER LOST IT".24

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

(Anmerkungen)
1 Weg und Wahrheit Nr 34, 23. 8. 1981, S. 4+5+18
2 Bertolt Brecht, Kriegsfibel, 1955
3 vgl. Karla Wolff, Ich blieb zurück, Schriftenreihe des Arbeitskreises Heft 6
4 Joseph Klausner, "Jesus von Nazareth - Seine Zeit, sein Leben und seine Lehre" Jerusalem 1952 S. 493
5 Rosemary Ruether, Nächstenliebe und Brudermord - die theologischen Wurzeln des Antisemitismus, München 1978
Krister Stendahl, Der Jude Paulus und wir Heiden - Anfragen an das abendländische Christentum, München 1978
6 vgl. Friedrich Wilhelm Marquardt, Das christliche Bekenntnis zu Jesus dem Juden - Eine Christologie Bd 2 München 1991 v.a. § 11 Vom Bleiben Jesu von Nazareth S. 416ff
7 zitiert nach: Der Landesverband der israelitischen Kultusgemeinden in Bayern Nr. 65/ März 1995 S. 21- 24
8 Johann Baptist Metz in Günther B. Ginzel ed., Auschwitz als Herausforderung für Juden und Christen, hier: Podiumsdiskussion Johann Baptist Metz, Friedrich Heer, Joachim Beckmann, Yehoshua Amir, Günther Bernd Ginzel: Glaube und Widerstand nach Auschwitz S. 175f
9 Ev. Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau ed., Israelsonntag 1978 - 10. n. Trinitatis - 30. Juli S. 47ff
10 Elie Wiesel, Die Nacht, Gütersloh, 1980, S. 87f
11 Barbara U. Meyer, Christologie im Schatten der Shoah - im Lichte Israels - Studien zu Paul van Buren und Friedrich-Wilhelm Marquardt, Zürich 2004, vgl. v.a. IV Zur Problematik der Zusammenschau von ‚Kreuz' und ‚Auschwitz': Der Tod es einen und der Mord an Millionen S. 130ff
12 Johann Baptist Metz, Annäherungen an eine Christologie nach Auschwitz, Franz-Delitzsch-Vorlesung 2004, Münster 2005 S. 10f
13 zitiert nach F.W. Marquardt, Israel
14 vgl Rosemary Ruether, Nächstenliebe und Brudermord, Einleitung von Peter v.d.Osten-Sacken
15 zitiert nach Barbara Meyer: Paul van Buren, Christ in Context, New York 1988 S. XIX
16 vor dem Arbeitskreis vorgetragen am 28. April 2006
17 Marianne Lebrecht, Verschweigen oder Kämpfen, 2001
18 aaO S. 47
19 Meine frühere Gemeinde in Ffm-Hausen war z.B. DC-geführt und wurde unter dem Führer-Prinzip geleitet. Erst spät haben wir in die Akten geschaut. Haben wir auch die Gemeinde zur Umkehr geführt?
20 Silke Alves in: Gabriele Kammerer, Wie hältst du's mit dem Judentum - Christliche Suchbewegungen im Gespräch, 2003 S. 175
21 ZEIT Nr. 25, 14. Juni 2006 S.2
22 Baal Schem Tov (17. Jhdt)
23 vgl. meine Ausführungen in: Gemeinsame christlich-jüdische Gottesdienste? Analysen, Beispiele, Vorschläge, Heft 12 der Schriftenreihe des Arbeitskreises ab S. 22
24 Ev. Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau ed., Israelsonntag'78 - 10. n. Trinitatis - 30. Juli S. 45

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