Was ist Antisemitismus heute?
von Klaus-Peter Lehmann
Um uns das zu demonstrieren, haben sich zwei Mitglieder
der Deutschen Bischofskonferenz, die sich im März zu einer Reise
in Israel aufhielt, mächtig und erfolgreich ins Zeug gelegt. Nach
dem Besuch der Holocaustgedenkstätte Jad Vaschem und der Palästinenserstadt
Ramallah sprach Bischof Mixa (Augsburg) von einer "Ghettoisierung"
der Palästinenser und sein Bruder im Geist Hanke (Eichstätt)
präzisierte, indem er die Lage in Ramallah mit der Situation im Warschauer
Ghetto verglich.
Warum ist das mehr als ein Vergreifen im Ton, mehr als
eine Taktlosigkeit oder historische Unwissenheit? Warum mehr als der Reflex
der deutschen Schuldabwehr? Warum ist, auch wenn dies alles richtig sein
mag, dennoch dem Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland
Dieter Graumann zuzustimmen, der den bischöflichen Eingebungen "antisemitischen
Charakter" zuschrieb. Warum liegt hier, mögen jene subjektiven
Erklärungen alle auf den einen oder anderen zutreffen, dennoch objektiv
Antisemitismus vor?
Antisemitismus ist mehr als eine feindliche Haltung gegenüber
Juden (z.B. Hass, Vorurteile). Antisemitisch ist jede Äußerung,
die wissentlich oder unwissentlich, das uralte Vorurteil gegenüber
Juden, sie seien die Urheber des Bösen und des Unfriedens in der
Welt, wiederbelebt. Die bischöflichen Vergleiche tun genau dieses,
indem sie die gewaltsame und ungerechte Politik des Staates Israel gegen
die Palästinenser mit der Völkermordpolitik des Nationalsozialismus
auf eine Stufe stellt. Dieser leider nicht nur von katholischen Bischöfen
geübte Vergleich birgt schlimme Konsequenzen.
Er stellt die Nachkommen der jüdischen Opfer mit
den Tätern gleich, die die Juden mordeten, damit es keine jüdischen
Nachkommen mehr gibt. Ist das nur taktlos oder unwissend? Ich finde es
seelisch grausam.
Sicher wird dieser Vergleich vom Reflex kollektiver Schuldabwehr
gespeist. Denn was entlastet Deutsche, wenn auch nur oberflächlich,
von ihrer als Schuld erlebten Verantwortung für die Juden erfolgreicher
als das dumpfe Gefühl: Die Juden heute sind auch nicht besser als
die Deutschen damals?
Objektiv antisemitisch ist der Vergleich, weil er die
Politik des jüdischen Staates gleichsetzt mit der Politik des NS-Staates.
Dieser steht nach vielen Jahren wissenschaftlicher Nachforschung, öffentlicher
Diskussion, Einrichtung von Gedenkstätten, kirchlichen Erklärungen
u.v.a.m. mittlerweile quasi für "das Böse", für
dessen systematische, rationale und absolut mitleidlose Grausamkeit. An
dieser Stelle zeigt sich. dass die bischöflichen Worte ganz in der
Spur des traditionellen Antisemitismus stehen. Denn sie setzen anstelle
Juden nunmehr den jüdischen Staat mit "dem Bösem"
gleich.
Darüberhinaus gibt es ein nicht zurückweisbares
Indiz für den Antisemitismus der bischöflichen Äußerungen.
Warum wurden und werden Vergleiche mit der NS-Politik nicht beim Morden
in Darfur, nicht beim Krieg in Tschetschenien und nicht beim Krieg im
Kongo laut, sondern immer nur, wenn der Einsatz von Gewaltmitteln seitens
des jüdischen Staates zur Diskussion steht? Darüber sollten
die Bischöfe im Rückblick auf ihre Pilgerfahrt nach Israel meditieren:
Warum wird nach Auschwitz immer wieder nur Israel mit einem solchen Vergleich
zur Diffamierung auserwählt?
zur Titelseite
zum Seitenanfang
|