Tierschutz oder Religionsfreiheit?
Bei der Diskussion des Schächtverbots wird "Die Linke"
zur Fürsprecherin der jüdischen Gemeinschaft
von Hartmut Bomhoff
Mitte August brachten die CDU-regierten Länder Hessen
und Schleswig-Holstein im Bundesrat eine Gesetzesinitiative zur Änderung
des Tierschutzgesetzes ein. Ihr Ziel: eine bundesweit einheitliche Lösung
für das Erteilen von Ausnahmegenehmigungen für ein Schlachten
ohne Betäubung durch Angehörige bestimmter Religionsgemeinschaften.
Es geht also - einmal mehr - ums Schächten: Ein Thema, das immer
wieder für Polemik, antijüdische Ressentiments und jüdische
Apologetik gut ist. In der Vergangenheit gab es jüdischerseits hierbei
eine deutliche Verteidigungsstrategie: Während es vor 1880 vorwiegend
einzelne jüdische Persönlichkeiten waren, die aus religiösen
Gründen für das Schächten eintraten, bildete sich später
eine breite jüdische Öffentlichkeit heraus, orthodox wie liberal,
die sich erfolgreich einem überregionalen Verbot widersetzte - bis
die Nationalsozialisten dem rituellen Schlachten im Deutschen Reich am
21. April 1933 ein Ende bereiteten.
Umso bemerkenswerter ist, dass in der aktuellen Auseinandersetzung
um ein Verbot der rituellen Schlachtung bislang keine jüdischen Stimmen
laut wurden. Weder die Orthodoxe Rabbinerkonferenz noch die Allgemeine
Rabbinerkonferenz Deutschlands ist mit einer Stellungnahme an die Öffentlichkeit
getreten, auch nicht der Kultusbeauftragte des Zentralrats der Juden in
Deutschland. Überlässt die jüdische Gemeinschaft in dieser
Frage den Moslems das Feld? Oder vertraut man vollkommen dem Kurs der
Bundesregierung, der sich bislang gegen ein Verbot stellt und den deshalb
Tierschützer heftig kritisieren? Dazu Peter Jahr, Tierschutzbeauftragte
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, am 20. September im Bundestag: "Die
schroffe Ablehnung seitens der Bundesregierung ist übereilt und nicht
nachvollziehbar. Hier besteht noch erheblicher Diskussionsbedarf."
Worum geht es genau? Mit dem sogenannten Schächt-Urteil
des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Januar 2002 hat sich die Rechtslage
dahingehend geändert, dass die Behörden immer dann eine Ausnahmegenehmigung
zum betäubungslosen Schächten von Tieren erteilen müssen,
wenn ein Antragsteller persönlich der Überzeugung ist, dass
der Glaube oder seine Glaubensvariante das betäubungslose Schächten
erfordere. Am 17. Mai 2002 hat der Deutsche Bundestag mit dem Zusatz "und
die Tiere" im Artikel 20a aber die Aufnahme des Tierschutzes in das
Grundgesetz beschlossen. Im Verwaltungsvollzug hat es sich nun als schwierig
herausgestellt, durch die Veterinärämter festzustellen, ob und
in welchem Rahmen Gläubige wegen ihres Glaubens in Bezug auf das
Schächten "überprüfungsbedürftig" sind.
Andererseits dürfte ein gesetzliches Totalverbot des Schächtens
von Tieren auf verfassungsrechtliche Bedenken stoßen, da der Konflikt
zwischen unterschiedlichen Verfassungsgütern - auf der einen Seite
die Religionsfreiheit, auf der anderen Seite das sittliche Rechtsgut des
Tierschutzes - nach dem Maßstab "praktischer Konkordanz"
zu lösen ist.
Bereits am 14. Juni 2007 befürworteten der Vorsitzende
der Arbeitsgruppe Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Peter Bleser und der Tierschutzbeauftragte
Peter Jahr die hessische Initiative, deren Ziel es ist, verschärfte
Anforderungen an Ausnahmegenehmigungen zum betäubungslosen Schlachten
im Tierschutzgesetz festzulegen. Danach solle die zuständige Behörde
eine Ausnahmegenehmigung für eine Schlachtung ohne Betäubung
nur erteilen dürfen, wenn nachgewiesen ist, dass diese "erforderlich
ist, um den Bedürfnissen von Angehörigen bestimmter Religionsgemeinschaften
zu entsprechen, denen zwingende Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft
das Schächten vorschreiben". Ferner müsse vor, während
und nach dem Schächten gewährleistet sein, dass dadurch bei
dem "betroffenen Tier im Vergleich zu einer gesetzmäßigen
Schlachtung mit vorheriger Betäubung keine zusätzlichen erheblichen
Schmerzen oder Leiden, insbesondere Ängste auftreten".
Der Gesetzentwurf des Bundesrats soll nun den bislang
ausstehenden, verfassungskonformen und angemessenen "Ausgleich zwischen
dem Grundrecht der freien Religionsausübung und dem im Grundgesetz
als Staatsziel verankerten Tierschutz" gewährleisten. Die Länderkammer
geht davon aus, dass mit der Gesetzesänderung eine "deutliche
Veränderung der Genehmigungspraxis" verbunden ist: Zum einen
reiche es nicht mehr aus, wenn der Antragsteller behaupte, er sei durch
seinen Glauben verpflichtet, zu schächten - vielmehr müsse er
künftig nachweisen, "dass das Gebot nur des Verzehrs von Fleisch
geschächteter Tiere für ihn religiös bindend ist".
Zudem könne die Erheblichkeitsschwelle für Leid und Schmerzen
nur anhand fachwissenschaftlicher Maßstäbe beurteilt werden.
Nach Ansicht des Bundesrats ist die vorgelegte Gesetzesänderung von
"grundsätzlicher Bedeutung", da die Frage für viele
Bürger von grundsätzlicher Bedeutung sei. Anders als die Länderkammer
hat die Bundesregierung allerdings Einwände: Der Gesetzentwurf bemühe
sich zwar um einen Lösungsweg zwischen den Anliegen vieler Bürger
und Tierschutzorganisationen, die ein ausnahmsloses Schächtverbot
bevorzugten, und den verschiedenen Religionsgemeinschaften, die sich auf
die Religionsfreiheit beriefen. Sowohl der Nachweis zwingender Religionsvorschriften
für das Schächten als auch der Nachweis dafür, dass das
Schächten nicht mehr Schmerzen verursache als das Schlachten mit
vorheriger Betäubung ist nach Ansicht der Regierung "in verfassungsrechtlicher
Hinsicht" bedenklich.
Bei der Diskussion der Gesetzsinitiative am 20. September
im Deutschen Bundestag machte Wilhelm Priesmeier (SPD) auf einen interessanten
Aspekt aufmerksam: "Mich haben aber auch Briefe erreicht, deren Inhalt
gegen die Glaubensüberzeugung unserer jüdischen und muslimischen
Mitbürgerinnen und Mitbürger gerichtet ist. Das macht mich sehr
betroffen. Wir dürfen und werden es nicht zulassen, dass Argumente
gegen das Schächten mit zum Teil klaren rassistischen Untertönen
unterlegt werden. Eine Debatte - egal zu welchem Thema - auf dem Rücken
von Minderheiten zu führen, ist zutiefst verabscheuenswürdig
und muss von allen am Diskussionsprozess Beteiligten aufs Schärfste
verurteilt werden." Peter Jahr (CDU) brachte schließlich Gott
ins Spiel: "Niemand in Deutschland hat die Absicht, sich einzumischen,
wenn eine bestimmte religiöse Grundüberzeugung ein spezielles
Tötungsverfahren definiert. Aber kein Gott dieser Welt gibt uns das
Recht, dem Tier unnötiges Leid zuzufügen, ganz im Gegenteil:
In allen Religionen finden wir Hinweise, die von einer besonderen Verantwortung
gegenüber unseren Mitgeschöpfen sprechen." Was aber haben
Jahrs Worte zu bedeuten?
Der klarste und umfassendste Beitrag zum Schächten
stammte von der "Linken". Bodo Ramelow, stellvertretender Vorsitzender
und zugleich Religionsbeauftragter von deren Bundestagsfraktion, kam in
seiner Bundestagsrede erneut darauf zu sprechen, dass hier zwei Grundsätze
von Verfassungsrang miteinander in Widerstreit sind: die Freiheit der
Religionsausübung und der Tierschutz. Ramelow war es auch, der endlich
die Perspektive der betroffenen Religionsgemeinschaften einnahm und "eine
entsprechende Anhörung und eine Be- und Erarbeitung mit Vertretern
der muslimischen und jüdischen Menschen in Deutschland auf gleicher
Augenhöhe" beantragte.
Ramelow wurde als Christ und Sozialist somit zum Fürsprecher
der jüdischen und der muslimischen Gemeinschaft, als er sagte: "Ich
respektiere, dass gläubige Menschen im Kontext der abrahamitischen
Weltreligionen bestimmte Vorschriften bis heute praktizieren, die auch
für unsere Glaubensvorfahren gegolten haben." In diesem Zusammenhang
verweist Ramelow ausdrücklich darauf, dass die Schlachtungsregeln
im Judentum und Islam gerade als Tierschutzmaßnahme zu betrachten
sind, also den Schmerz für das Tier möglichst ausschließen
sollen.
"Ob eine vorherige Betäubung religionsgesetzlich
erlaubt ist, bedarf in der Tat der Beurteilung durch zu hörende Experten
der jeweiligen Religionsgemeinschaften. Im Judentum zum Beispiel gibt
es Rabbiner, welche gleichzeitig Veterinäre sind und deshalb hohe
Fachkenntnisse in beiden Feldern mitbringen", urteilt Ramelow. Dennoch
halte er es für schwierig, dass bei der nun in Rede stehenden Regelung
einerseits der Gläubige nachweisen soll, dass seine Religion zwingend
diesen Ritus vorschreibt, und andererseits derjenige, der diesen Ritus
praktiziert und den Schnitt bei dem Tier am Hals ansetzt, nachweisen soll,
dass das Tier beim Sterben keine zusätzlichen Schmerzen erleidet.
Zur Form, in der der Gesetzgeber nun im Artikel 1, Absatz
1a und b die Beweislast den Gläubigen auferlegt, und zwar nur im
Rahmen der Beweislast dieser Ausnahmeregelung zum normalen Schlachtprozess
in Deutschland, befand Bodo Ramelow abschließend: "Das halte
ich für das eigentliche Problem: Während auf einem Schlachthof
die Frage nach der Angst von Tieren überhaupt nicht gestellt wird,
obwohl Wissenschaftler nach meiner Kenntnis sehr wohl belegen können,
welche Ängste Schlachttiere durchleben, bevor sie in den Schlachtprozess
kommen, soll für die Ausnahme von der Regel ein höheres Maß
an Beweislast entstehen als für die Regel."
Nicht nur bei ihm, sondern auch bei Mitbürgern, die
im Rahmen der abrahamitischen Religionen Nichtchristen seien, erwecke
dies den Eindruck, dass hier eine Aktualität zu einem Thema vorgegeben
werde, die sich weder aus Recht und Gesetz, noch durch aktuelle Urteile
ergebe, sondern einzig und allein in dem Kontext gespürt werde, den
man zurzeit in Deutschland immer wieder erleben könne: "Da wird
vom christlichen Abendland als Kerngröße gesprochen, da wird
im Zusammenhang mit der europäischen Verfassung nicht von einem universellen
Gott gesprochen, sondern der Bezug zum christlichen Abendland benannt.
Da wird in aktuellster Art und Weise vom Fraktionsvorsitzenden der Union
das Kruzifix für öffentliche Gebäude als Regelfall vorgeschlagen."
In diesem Kontext fühlten sich Juden und Moslems in Deutschland zurückgewiesen
und durch eine scheinbar harmlose Vorschrift im Tierschutzbereich unter
Generalverdacht gestellt. "Es ist eine ungute Mischung, die hier
gedanklich entsteht: Islamophobie, die in Deutschland mit jeder Debatte
um Moscheen entsteht, aber eben auch antisemitische Angriffe auf Mitbürger,
die als Juden in Deutschland anfangen, sichtbarer ihren Glauben leben
zu wollen."
Zudem sei es schwierig, wenn das Schächten im Hinblick
auf den Tierschutz thematisiert werde und Religionsgemeinschaften, die
eine abschließende Autorität nicht kennen und deren Vorschriften
teilweise gelebt und teilweise rituell sind, eine religiöse Beweislast
auferlege.
Darüber hinaus befänden sich die muslimischen
Vertreter in Deutschland in der Situation, dass sie um die Anerkennung
als Körperschaften des öffentlichen Rechtes kämpften, um
als gleichberechtigte Gesprächspartner analog den christlichen Kirchen
und der jüdischen Glaubensgemeinschaft anerkannt zu werden: Hier
wiederum sei es genau der Innenminister, der große Zweifel anmelde.
"Wenn man den Muslimen gegenüber die Anerkennung als verbindliche
und staatlich anerkannte Glaubensgemeinschaft verweigert, gleichermaßen
im Tierschutzgesetz eine Regel verankert, die die religiös zwingend
vorgeschriebenen Riten attestieren soll, halte ich diese Vorgehensweise
schlicht für nicht zielführend, um nicht zu sagen: für
fadenscheinig." Deshalb würde Ramelow am liebsten beantragen,
das gesamte Gesetzgebungsverfahren sofort zu beenden: "Ein Zurück
zum, vorsichtig gesagt, illegalen Schächten, wie es vor dem Bundesverfassungsgerichtsurteil
praktiziert wurde, ein Zurück in die Illegalität, halte ich
für nicht akzeptabel." Sollten aber die Mehrheit im Bundestag
und die Bundesregierung der Meinung sein, dass man den hessischen Vorstoß
weiter verfolgen solle, sei es glaubwürdig, wenn die tierschutzrechtlichen
Aspekte fern von jeder Glaubensfrage einfach nur unter dem Aspekt der
Vergleichbarkeit geprüft würden.
"Wenn es um religiöse Themen geht, gehören
für mich die Repräsentanten der einzelnen Gruppen mit an den
Gesprächstisch. Deswegen fehlt mir hier auch eine ernsthafte Überweisung
des Gesetzestextes - zuallererst an diejenigen, die es betrifft. Um dem
Vorwurf zu entgehen, dass hier eine antisemitische oder antiislamische
Vorschrift, harmlos als Tierschutz verkleidet, in den Gesetzgebungstext
kommen soll, müssen wir zuallererst mit diesen Vertretern selbst
sprechen und mit ihnen Lösungswege erörtern."
Der überwiesene Gesetzestext aus dem Bundesrat erfasst
das Problem also nicht adäquat. In der Stellungnahme der Bundesregierung
wird darauf eingegangen. Der gesetzgeberische Lösungsansatz müsste
sich deshalb auch und gerade über die Religionsfreiheit entwickeln.
Dass ausgerechnet "Die Linke" mit diesem Plädoyer
zur Fürsprecherin auch der jüdischen Gemeinschaft wird, dürfte
manch einen überraschen. Es sollte aber eine freudige sein, angesichts
der Sprachlosigkeit jüdischer Wortführer und in Anbetracht der
in dieser Frage eher verqueren Argumentationsgänge, wie sie gerade
in der Fraktion von CDU/CSU verfolgt werden.
"Jüdische Zeitung", Oktober 2007, www.j-zeit.de
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