Maskerade
Der Vatikan hält am Missionsgedanken fest
von Günther B. Ginzel
Die aktuelle Causa "Karfreitagsfürbitte für
die Juden" ist ein Lehrstück dafür, was passiert, wenn
die Partner im Dialog sich der Illusion hingeben, der gute Wille allein
reiche aus, um Verständigung herzustellen. Jetzt sind viele überrascht,
enttäuscht, verbittert, konfrontiert mit der Tatsache, dass es zwischen
Juden und Christen Unterschiede gibt, die nicht mit der Kuscheldecke der
Harmonie verhüllt werden können. Denn ein Stichwort, das alle
aufregt, ist gefallen: Mission. Es offenbart theologische und emotionale
Unvereinbarkeiten, die gern verschwiegen werden (vgl. auch S. 2). Was
ist geschehen? Als Papst Benedikt XVI. im vergangenen Sommer ankündigte,
den alten lateinischen Ritus wieder zuzulassen, protestierten Rabbiner
und jüdische Organisationen, denn am Karfreitag enthält die
alte Liturgie ein Gebet für die Bekehrung der Juden. Der Vatikan
reagierte auf die Kritik und veränderte die Karfreitagsfürbitte.
Doch der Wunsch, die Juden mögen zu Christus finden, ist geblieben:
"Wir wollen beten für die Juden. Dass unser Gott und Herr ihre
Herzen erleuchte, damit sie Jesus Christus erkennen, den Heiland aller
Menschen."
Erstaunlicherweise ist der Vatikan der Auffassung, dass
Juden mit dieser Formulierung als einer endzeitlich gemeinten Bitte einverstanden
wären. Welch eine Fehleinschätzung, die wohl im Judentumsbild
des Papstes wurzelt! Benedikt XVI. bewundert das Judentum, in seinem Jesus-Buch
spricht er voller Hochachtung über Juden. Doch versteht er sie? Aus
seiner auf die Christologie fixierten Position heraus begreift er, bei
allem Bemühen, letztlich jüdisches Denken nicht. Für ihn
entscheidend ist nicht Jesus, der Jude, sondern Christus. Sicher, das
ist letztlich christliches Glaubensfundament und die Bruchstelle zwischen
Kirche und Synagoge - die auf Seiten der katholischen Traditionalisten
besonders tief ausgeprägt ist.
Als Konservativer bemüht sich Papst Benedikt um die
Fundis, die der vorkonziliaren Kirche nachtrauern - und Rom, nicht zuletzt
wegen der Annäherung an die Juden, seinerzeit den Rücken kehrten.
Benedikt will sie, auch zum Verdruss vieler liberaler Katholiken, wieder
in den Schoß der Kirche zurückführen. Köder ist der
nach dem Konzil praktisch abgeschaffte alte lateinische Ritus. Doch damit
hat sich Rom auch das Problem der "Rückkehr" einer antijudaistischen
Theologie eingehandelt. So groß Ratzingers Bemühen um die Heimholung
dieser Versprengten ist, ihren Antijudaismus teilt er keineswegs. Er schenkt
ihnen die alte lateinische Messe, doch mit "gereinigter" Fürbitte
für die Juden.
Der gefundene Kompromiss dürfte die Traditionalisten
nicht befriedigen. Schon geht das Wort von einer Kapitulation vor den
Juden um - und den meisten Juden bleibt der Vorgang im günstigsten
Fall unverständlich. Was soll das heißen, Juden mögen
Christus erkennen? Werden sie als etwas Unvollständiges dargestellt,
wenn sie diesem Wunsch nicht folgen? Also doch eine versteckte Missionsaufforderung?
Wird gar ein Weg zurück eingeschlagen, in die Zeit vor dem Zweiten
Vatikanischen Konzil?
So sehr der "Bruder Jesus" (Schalom Ben Chorin)
Juden und Christen eint, so sehr trennt sie der Glaube an den Christus.
Mit dem Bekenntnis "wahrer Mensch, wahrer Gott" beginnt eine
neue, die christliche Geschichte, die jetzt nicht mehr die jüdische
ist. Ein Satz wie: "Niemand kommt zum Vater denn durch den Sohn",
ist für Juden auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil er dem eigenen
Bundeserlebnis widerspricht. Kann man unmittelbarer als am Sinai vor Gott
stehen? Es ist die Errungenschaft der vergangenen Jahrzehnte, dass die
Kirchen das Weiterbestehen dieses "ungebrochenen Bundes" begreifen
und Israels Nein zu Christus nicht mehr als Verstockung oder Verblendung,
gar als Infragestellung des eigenen, christlichen, Glaubensweges interpretieren,
sondern als das verstehen, was es ist: Ausdruck jüdischer Gottestreue.
Kein Jude käme auf den Gedanken, Christen von ihrem Weg abzubringen.
Es hat nie eine jüdische Christenmission gegeben! Wir begegnen einander
in der Anerkennung der Unterschiede - und im Respekt vor der jeweiligen
Glaubenstradition.
Auf dieser Basis haben die Päpste Johannes XXIII.
und besonders Johannes Paul II. jegliche antijüdische Theologie und
Politik wiederholt öffentlich verurteilt. Nicht Mission, sondern
Partnerschaft bestimmt seither das Verhältnis. Rom und die katholischen
wie die evangelischen Kirchen in Deutschland wurden zu Bündnispartnern
auch im Kampf gegen den Antisemitismus. Der Vatikan sollte daher keine
Zweifel über seine Position aufkommen lassen. Angesichts extremistischer
Bedrohungen darf kein Raum für neuerliche Zwietracht und für
Misstrauen zwischen Juden und Christen entstehen. Brennende Kirchen und
geschändete jüdische Friedhöfe sollten den Blick auf das
Wesentliche lenken - eine überholte Theologie zählt nicht dazu.
Der Autor ist jüdischer Vorsitzender der AG "Christen
und Juden" beim Deutschen Evangelischen Kirchentag und Publizist.
Jüdische Allgemeine, 14.2.2008
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