Des Teufels Souffleur:
Der Mufti von Jerusalem, die Nationalsozialisten und die Juden
von Miriam Magall

Am 28. November 1941 in Berlin: Hitler empfängt Amin el-Husseini in Gegenwart von Joachim von Ribbentrop und Dr. Fritz Grobba. Damit hat der Mufti von Jerusalem gerade einmal zwanzig Tage nach seiner Ankunft in Berlin (am 6. November 1941) ein wichtiges Ziel erreicht: Er steht dem Mann gegenüber, von dem er sich die Verwirk­lichung seiner Träume erhofft. Denn er, der sich als Vertreter arabischer Aspirationen betrachtet und als ein Mann, der bereits ein Vierteljahrhundert lang für ihre Verwirk­lichung kämpft, verfolgt den Plan, ein panarabisches Großreich zu schaffen, das als Endziel den gesamten arabischen Raum vom Persischen Golf bis zur marokkanischen Atlantikküste umfassen soll – und das auch und vor allem eines sein soll: judenrein.

Was ist das für ein Mensch, der von derartig großen Vorhaben träumt und der sich nicht scheut, alle – tatsächlichen wie eingebildeten – Gegner auf dem Weg seiner Verwirk­lichung gnadenlos auszuschalten?

Hadsch Amin el-Husseini, Spross einer angesehenen Familie

Wann genau el-Husseini geboren wurde, ist nicht ganz klar, er selbst gab später an, 1897 geboren zu sein. Der Husseini-Clan soll bereits Anfang des 17. Jahrhunderts den Mufti von Jerusalem gestellt haben. Da die Osmanen jedoch gerne die wichtigsten Positionen im Land unter den bedeutendsten ­rivalisierenden Familien aufteilten, müssen die Husseinis nach dem Tod dieses ersten Muftis bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts warten. Erst dann bekleidet ein Husseini erneut das Amt des Muftis. Als die Briten nach dem Ersten Weltkrieg das Land besetzen, wählen sie Jerusalem zum Regierungssitz und Ort des Obersten Gerichts. Der amtierende Mufti, Kamil el-Husseini, ein älterer Bruder Amins, bekommt den bis dahin unbekannten Titel eines Großmuftis von den Briten verliehen, was das Ansehen dieses Amtes zusätzlich steigert.

Als es gilt, das Amt des Mufti erneut zu besetzen, der Amtsinhaber war im März 1921 gestorben, gibt der Mann an der Spitze der neu errichteten zivilen britischen Mandatsverwaltung, ein Liberaler jüdischer Herkunft, Sir Herbert Samuel, Amin el-Husseini den Vorzug, obwohl er aus den Wahlen nur als Vierter hervorgegangen war. Damit hat el-Husseini die Machtposition erreicht, von der er über Jahrzehnte hinweg wie kein anderer den arabischen Kampf gegen die Juden Palästinas radikalisieren soll.

Eigentlich hatte Amin el-Husseini keine besondere theologische Ausbildung genossen, die ihn auf das Amt des Muftis vorbereitet hätte. Zwar hatte er 1912/13 für kurze Zeit an der al-Azhar-Universität in Kairo studiert und war auch 1913 auf Pilgerfahrt nach Mekka gegangen, weshalb er sich fortan mit dem Titel Hadsch schmücken durfte. Aber seine übrige Ausbildung verdankte er eher erst ­einer Verwaltungsschule, dann einer Militärakademie in Istanbul. Im Ersten Weltkrieg war er außerdem Offizier in der türkischen Armee in Smyrna. Wegen seiner Teilnahme an den Unruhen in Jerusalem im März 1920, bei denen die Juden fünf Tote, 216 Verletzte und 18 Schwerverletzte zu beklagen haben, wird el-Husseini in Abwesenheit zu zehn Jahren Haft verurteilt. Davon brauchte er keinen einzigen Tag abzusitzen, denn er ­hatte sich rechtzeitig in den Libanon ab­gesetzt. Anlässlich seiner Ernennung zum Mufti wird er nach der verlorenen Wahl durch den englischen Hochkommissar begnadigt. Schon ein Jahr später ernennt ihn der Brite Samuel zum Präsidenten des ­Arabischen Oberrats (englische Abkürzung: AHC, Arab Higher Committee). Damit wird el-Husseini der einflussreichste Araber in Palästina, verfügt er doch über umfassende finanzielle Mittel, mit deren Hilfe er seinen politischen Einfluss ausdehnen kann.

Angesichts der immer wieder aufflammenden Unruhen, geschürt hauptsächlich von el-Husseini und seinem AHC, schicken die ­Briten im November 1936 eine Royal Com­mis­sion unter dem Vorsitz von Earl Peel nach Jerusalem. Im Juli 1937 wird der Bericht veröffentlicht. Er sieht eine Teilung des Landes in einen jüdischen Staat und eine Vereinigung des arabischen Gebiets (ca. 85 Prozent des Landes) mit Transjordanien vor, das bereits 1922 abgetrennt und Abdallah, dem Sohn des Scherifen Husseini von Mekka, übergeben worden war. Die arabischen Reaktionen sind erneute Unruhen, geschürt von el-Husseini, der den Plan kategorisch ablehnt. Von den Briten als Rädelsführer beschuldigt, flieht er auf den Tempelberg. Sie erklären den AHC als illegal, und der Mufti wird seiner Ämter enthoben. Im Oktober 1937 flieht er in den Libanon. Damit beginnt des Muftis intensives Werben um Hitler und seine Nationalsozialisten.

el-Husseini drängt sich Hitler auf

Gleich im März 1933 gratuliert der Mufti der neuen deutschen Regierung und bringt seine Hoffnung zum Ausdruck, sie werde einen Boykott gegen die Juden ausrufen, denn damit würden diese am stärksten getroffen. Bei einem späteren Treffen mit Wolff, dem deutschen Generalkonsul in Jerusalem, bittet el-Husseini eindringlich, keine deutschen Juden nach Palästina emigrieren zu lassen. Im November 1937 schickt el-Husseini einen Gesandten nach Berlin. Er will Stimmung für sich machen und noch mehr Geld von Deutschland, um die Revolte in Palästina weiter zu schüren. Wie sehr er die Politik der Achsenmächte unterstützt, kann er alsbald unter Beweis stellen. Denn der Druck der Franzosen auf el-Husseini im Libanon wird so stark, dass er sich im Oktober 1939 zur Flucht in den Irak entschließt. Dort ist die deutsche Botschaft in Bagdad bereits eifrig damit beschäftigt, den Hass auf die Juden im Land zu fördern. Solange sich der Irak unter britischer Besatzung befindet, das ist bis 1932 der Fall, geht es den Juden im Land gut; danach beginnen die Repressionen, und zwar dank kräftiger finanzieller Unterstützung aus Deutschland und Italien.

Mitte Februar 1941 schreibt el-Husseini ­einen ersten Brief an Hitler, in dem er ihm die Unterstützung der Araber im Kampf gegen England zusichert. Gleichzeitig lässt er auch seinen antijüdischen Gefühlen freien Lauf. Sein Gesandter, Osman Kemal Had­dad, trägt zusätzlich in Berlin des Muftis Wünsche nach einer politischen Erklärung, nach Waffenlieferungen und finanzieller Unterstützung vor.

Am 1. April 1941 erfolgt der Putsch im Irak, vom Zaun gebrochen von el-Husseini und vier irakischen Obersten. Am 1. und 2. Juni kommt es zu einem Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung, dem 179 Juden zum Opfer fallen. Dieser Pogrom ist mit einer der Gründe für die Massenauswanderung der irakischen Juden nach der Gründung des Staates Israel.

Wieder einmal ist der Mufti auf der Flucht. Diesmal geht es nach Teheran. Aber nicht für lange, denn schon am 25. August 1941 besetzen Engländer und Russen den Iran, sodass sich der Mufti gerade noch in die japanische Botschaft retten kann. Im Oktober 1941 gelingt es den Italienern, den Mufti zunächst nach Italien herauszuschmuggeln. Er trifft am 6. November in Berlin ein.

Des Muftis Hass auf die Juden

In Berlin kann el-Husseini endlich seinen Hass auf die Juden voll ausleben und nimmt kein Blatt vor den Mund.

Allerdings haben die Nationalsozialisten Probleme mit ihrem ungebetenen Gast. Denn aufgrund ihrer Rassenideologie können sie den Gedanken der arabischen Unabhängigkeit, wie sie von el-Husseini immer wieder eingefordert wird, nicht wirklich befürworten. Für sie sind die semitischen Araber genauso unfähig, einen Staat zu führen wie die Juden. Ja, sie gelten ihnen, genau wie die Juden, als Angehörige einer minderen Klasse.

Und doch, eine Tatsache eint die beiden so unterschiedlichen Parteien: ihr Hass auf die Juden. Schon früh gibt sich el-Husseini Mühe, alles zu tun, um den Juden zu schaden und sie aus Palästina fern zu halten. Deshalb schürt er die Unruhen vor Ankunft der britischen Mandatsmacht und auch danach. Jetzt, bei seinem Empfang bei Hitler im November 1941, betont er diesen Aspekt noch einmal ausdrücklich und findet dafür ein offenes Ohr, denn Hitler bestätigt ihm, Deutschland trete für einen kompromiss­losen Kampf gegen die Juden ein. Dazu ­gehöre selbstverständlich auch der Kampf gegen die jüdische Heimstätte in Palästina.

Bemerkenswert ist el-Husseinis Rede anlässlich der Eröffnung des Islamischen Zentral-Instituts zu Berlin e.V. am Freitag, 18. Dezember 1942. Er erklärt die Juden zu den erbittersten Feinden der Muslime, die ihnen seit alters Feindseligkeit bekundet hätten. Jeder Muslim wisse, welche Gehässigkeit sie dem größten Propheten bezeigt hätten. Der heilige Koran und die Lebensgeschichte des Propheten seien voll von Belegen jüdischer Charakterlosigkeit und für ihr tückisches, lügnerisches und betrügerisches Verhalten. Das Islamische Zentral-Institut dient fortan als das Forum für des Muftis Judenhetze. Von hier sät er den Hass auf die Juden und setzt die bis heute in der arabischen Welt so geläufige Vorstellung einer jüdischen Verschwörung gegen den Islam in die Welt.

Dass der Mufti nicht nur Hass sät, sondern auch aktiv an der Ermordung von Juden beteiligt ist, zumindest als Schreibtischtäter, ist mittlerweile eine erwiesene Tatsache.

Aktive Verhinderung der Rettung jüdischer Kinder und von Juden

Was genau damit gemeint ist, sei anhand von drei – für die betroffenen Juden sehr tragischen – Fällen exemplarisch vorgeführt. Ende 1942 verhandelt der deutsche „Judenberater“ bei der slowakischen Regierung, Dieter Wisliceny, mit Vertretern des Joint über die Emigration jüdischer Kinder aus der Slowakei, Polen und Ungarn nach Palästina. Im Gegenzug sollen mit Hilfe des Roten Kreuzes deutsche Zivilinternierte ausgetauscht werden. Wisliceny wird von Eichmann nach Berlin zitiert. Der Mufti habe, wird ihm dort mitgeteilt, von der geplanten Aktion erfahren und daraufhin schärfsten Protest bei Himmler eingelegt. Seine Begründung: Diese jüdischen Kinder würden in einigen Jahren erwachsen sein und damit das jüdische Element in Palästina stärken. Himmler habe daraufhin die ganze Aktion verboten und auch für die Zukunft ein Verbot erlassen, Juden aus den von Deutschland beherrschten Gebieten nach Palästina ausreisen zu lassen. Der Mufti, erklärt Wisliceny dem Vertreter der jüdischen Seite, sei ein unerbittlicher Erzfeind der Juden und sei auch seit jeher der Vorkämpfer des Gedankens der Ausrottung der Juden.

Nicht besser ergeht es jenen Juden, die in Rumänien auf ihre Ausreise in Richtung ­Palästina warten. Der rumänische Staatschef hat die Auswanderung von 75.000 bis 80.000 Juden für eine Kopfprämie erlaubt. Das Aus­wärtige Amt protestiert lauthals: Dabei handele es sich innerhalb der von der deutschen Regierung verfolgten Grundlinien einer europäischen Lösung der Judenfrage um eine untragbare Teillösung. Hinzu komme, dass man den politischen Freunden im Vorderen Orient nicht auch noch 80.000 Juden aufbürden dürfe, die vermutlich auf der Seite der Kriegsgegner stünden. Ähnlich wird die Auswanderung von 5000 jüdischen Kindern aus Bulgarien, im Februar 1943 bekannt geworden, verhindert, die Großbritannien ins Land hat lassen wollen.

Stattdessen empfiehlt sich, immer gemäß dem Mufti, Polen als der Ort, an dem die ­Juden vernichtet würden. Als die Schoa auf ihrem Gipfel steht, bemüht sich der Mufti also nach Kräften, die Rettung der Juden durch eine Einwanderung nach Palästina um jeden Preis zu verhindern.

Wie der Mufti der arabischen Sache schadet

El-Husseini hat nicht nur vehement den Peel-Teilungsplan im Jahr 1937 abgelehnt – u.a. weil die Vereinigung arabischen Lands mit Transjordanien das politische Aus für ihn bedeutet hätte, auch der UN-Teilungsplan vom November 1947 ist für ihn kein Thema. Aber der Schaden geht weit über das hinaus.

Tragisch für die arabischen Bewohner Palästinas waren vor allem die gewalttätigen Exzesse, die den britischen Hochkommissar Cunningham im Februar 1948 zu dem Bericht veranlassen, unter der arabischen Mittelklasse sei Panik ausgebrochen und es gebe einen ständigen Exodus der wohlhabenden palästinensischen Araber – Monate vor der Ausrufung des Staates Israel, wohlgemerkt. Gemäß dem Vertrauensmann des Muftis Musa Alami1 verließen die Palästinenser ihre Heimat keineswegs aus Feigheit, sondern weil sie ihr ganzes Vertrauen zum eigenen Verteidigungssystem verloren hatten. Sie glaubten fest daran, die arabischen Armeen würden die Zionisten ins Meer treiben. Es sei ihnen schon klar, dass sie die Juden nicht ohne Hilfe besiegen könnten. Schließlich hätten diese im Zweiten Weltkrieg auf der Seite der Briten gekämpft und viel daraus gelernt. Die Palästinenser hätten das dagegen nicht getan. Laut König Abdallah2 seien sie mit falschen und unhaltbaren Versprechungen seitens ihrer Anführer gelähmt. Glaubten sie doch tatsächlich, 80 Millionen Araber und 400 Millionen Muslime würden auf wundersame Weise zu ihrer Rettung herbeieilen. Man müsse den einmarschierenden Armeen nur aus dem Weg gehen, um sie nicht aufzuhalten. Selbst Mahmud Abbas3 schrieb im Jahr 1976, die arabischen Führer hätten die Palästinenser gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Aufgrund ihrer Drohungen verließen 1948 rund 700.000 Palästinenser das Land. Diese Flucht, die vom Mufti befürwortet wurde, habe zur naqba, der Katastrophe, der Schande, zur Gründung des Staates Israel geführt!

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Hadsch Amin el-Husseini ist ein Kind des semifeudalistischen, patriarchalischen Systems, der bis zu seinem Lebensende starr an seinen längst überholten Vorstellungen festhielt. Wäre er in der Lage gewesen, Kompromisse zu schließen, hätte er sich persönlich ein Leben in wechselndem Exil erspart und – das ist noch weitaus wichtiger – seinem Volk eines in Armut und Unterdrückung in Flüchtlingslagern.

Seine Anbiederung an die Nationalsozialisten hat dazu geführt, dass er nach dem verlorenen Krieg der Deutschen in der gesamten arabischen Welt zusehends an Bedeutung verlor. Wenngleich ihm weder die Alliierten noch Russland je den Prozess gemacht haben, was ihn in den Augen vieler Araber von jeglicher Schuld in Verbindung mit den Na­tionalsozialisten und ihrer mörderischen ­P­olitik gegenüber den Juden sauber wusch, war er selbst Gamal Abd-el Nasser so peinlich, dass er ihn aus Ägypten abschob.

Ist es da ein Wunder, dass viele erleichtert aufatmeten, als sie von seinem Tod am 4. Juli 1974 im Exil im Libanon erfuhren? Hadsch Amin el-Husseini hat in seinem langen ­Leben viel Unheil über viele Menschen gebracht.

Fußnoten
1             Alami, Musa: The Lesson of Palestine, in: MEJ 3 (1949), S. 373–405.
2 King Abdallah of Jordan: My Memoirs Com­pleted (al-Takmilah). Washington 1954. S. XVI.
3             Falastin al-Thawra, Journal der PLO in Beirut, März 1976; zit. nach The Wall Street Journal Europe v. 5. 6. 2003.

aus: Jüdisches Leben in Bayern, Nr. 105/2007

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